MedienrevolutionenWas Buchdruck und Digitalisierung gemeinsam haben
Ende 1522 erscheint das Neue Testament zum ersten Mal auf Deutsch, übersetzt von Martin Luther. Er ist quasi einer der Bestseller-Autoren des 16. Jahrhunderts und profitiert von einem Medienwandel, der fast sechs Jahrhunderte her ist und trotzdem sehr an heutige Zeiten erinnert: dem Buchdruck. Ein Vortrag des Kirchenhistorikers Thomas Kaufmann.
Buchmarkt, Verleger- und Autorentum entwicklen sich rasant, als Johannes Gutenberg – auch unter Zuhilfenahme bereits vorhandener Techniken – um 1440 den Buchdruck erfindet. Er zerlegt Texte in deren kleinste Bestandteile: in die beweglichen, immer wieder neu zu arrangierenden Lettern.
Per Druckerpresse können Texte, wie noch nie zuvor, vervielfältigt werden. Luther wird bekannt und erfolgreich – reich allerdings nicht. Das Dasein als Bestseller-Autor lohnte sich im 16. Jahrhundert noch nicht, selbst um Belegexemplare musste Luther kämpfen.
"Luther hatte mit seinen eigenen Texten und seiner Übersetzung der Bibel einen analogielosen Erfolg. Hätte der Mann an seinen Büchern verdient, er wäre sehr reich geworden."
In seinem Vortrag erklärt der Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann, dass die Reformation auf einem europäischen Buchhandelsnetzwerk basierte. Die massenhafte Verbreitung von Schriften trug zur Bekanntheit Luthers und seiner Thesen bei und machte es schwierig, entsprechende Schriftwerke wieder einzufangen, zu unterdrücken und zu verbieten.
"Luther kann im demselben Satz einmal Gott groß und mit Doppel-t, einmal klein und mit d und einmal klein und mit dt schreiben."
Das Spannende: Die wichtigsten Aspekte des typographischen Medienwandels damals – zum Beispiel Beschleunigung der Kommunikation, räumliche und personelle Entgrenzung, mehr Teilhabemöglichkeiten oder veränderte Lernformen – sind im Prinzip die gleichen Merkmale, über die wir heute beim großen Medienwandel unserer Zeit sprechen: der Digitalisierung.
Buchdruck und Digitalisierung haben ähnliche Folgen
Auch Phänomene, die Thomas Kaufmann als "Strukturwandel der Öffentlichkeit" zusammenfasst, haben Luthers Zeitgenoss*innen ebenfalls schon auf ähnliche Weise beobachten können: etwa mehr Transparenz infolge von differenzierter Berichterstattung, zunehmende Polemik, mehr Auftreten von Fake News oder gesellschaftspolitische Mobilisierung.
Thomas Kaufmann hat den Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der Georg-August-Universität Göttingen inne. 2020 wurde ihm der Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft verliehen. Seinen Vortrag mit dem Titel "Die Druckmacher – zum Verhältnis von erster Medienrevolution und digitaler Revolution" hat er am 9. November 2022 auf Einladung der Bremischen Evangelischen Kirche gehalten. Sein Buch "Die Druckmacher. Wie die Generation Luther die erste Medienrevolution entfesselte" ist 2022 erschienen.