Berufe-StudieDeutsche haben weniger Lust auf Arbeit
Fast die Hälfte der deutschen Berufstätigen würde sofort in Teilzeit wechseln, wenn der Arbeitgeber einverstanden wäre. Das zeigt eine neue Studie. Die Deutschen wollen veränderte Arbeitsmodelle. Die aktuellen Krisen machen das nicht einfacher.
Gerade bei den unter 40-jährigen Beschäftigten ist der Wunsch nach Teilzeit besonders hoch. So das Ergebnis der Berufe-Studie 2022. Diese wird jährlich bundesweit durchgeführt durch den Versicherer HDI in Zusammenarbeit mit dem Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov Deutschland.
Die Studie zeigt noch etwas: Vor der Coronapandemie hatten noch knapp 40 Prozent der deutschen Berufstätigen gesagt, dass sie mit dem Arbeiten aufhören würden, wenn sie es finanziell nicht nötig hätten. Inzwischen sind es fast 60 Prozent, so Deutschlandfunk-Nova-Reporter Mathias von Lieben. Die Umfrage-Verantwortlichen sprechen von einem "Corona-Knick".
Corona hat den Blick auf die Arbeit verändert
Der Soziologe Philipp Staab von der Humboldt-Universität zu Berlin findet das wenig überraschend. Die Pandemie habe bei vielen Leuten dazu geführt, dass sie mehr über ihre Arbeit nachdenken.
"Die Pandemie hat bei vielen Leuten schon zu einer Reflexion darüber geführt, womit sie eigentlich diesen großen Teil ihrer Zeit verbringen."
Auch in der Berufe-Studie wird deutlich, dass sich viele nach weniger Arbeit sehnen. Dort sagen mehr als drei Viertel der Befragten, dass sie eine 4-Tage-Woche gut fänden, so Mathias von Lieben. Aber wenn möglich, wollen sie diese ohne Gehaltsverzicht.
Eine verkürzte Arbeitswoche führe zu mehr Zufriedenheit, sagt Hannes Zacher. Er ist Arbeits- und Organisationspsychologe an der Universität Leipzig. Denn so lasse sich Beruf und Familie besser vereinbaren, was Menschen zufriedener mache. Aber auch effizientes Arbeiten habe diesen Effekt. Mehr Stunden zu arbeiten, mache Menschen nicht unbedingt produktiver, so Hannes Zacher.
"Viele Studien zeigen, dass viele Menschen in fünf Stunden genauso produktiv sind wie in acht oder neun Stunden am Arbeitsplatz."
Zuletzt konnte das eine Studie aus Island bestätigen. Teil der Untersuchung waren 2.500 Arbeitnehmer*innen, die vier Jahre lang statt 40 nur 35 Stunden arbeiteten – allerdings bei gleichbleibender Bezahlung. Das Ergebnis ist klar: Weniger Stress, ein geringeres Risiko für Burn-out, mehr Zeit für Erholung, Familie und Hobbys, fasst unser Reporter zusammen. Gleichzeitig nahmen weder Produktivität noch Qualität der Arbeit ab, denn im Schnitt wurde konzentrierter und effektiver gearbeitet.
Zugleich kann eine hohe Effizienz beim Arbeiten auch Probleme mit sich bringen, so Hannes Zacher. Nämlich dann, wenn die Arbeitsbelastung von fünf in vier Tage passen soll. Die Arbeit dürfe nicht zu sehr verdichtet werden. "Das heißt, man muss auch schauen, dass man die Arbeit dann besser organisiert oder tatsächlich auch weniger Aufgaben hat", sagt Hannes Zacher.
Die Krisen nehmen zu, das hat auch Einfluss auf Wirtschaft und Arbeit
Aber selbst wenn viele Menschen ihre Arbeitszeit verkürzen wollen, muss es auch finanziell passen. Aktuelle Krisen wie die Coronapandemie oder die steigenden Energiepreise machen das schwieriger. Hinzu kommt, dass Arbeitskräfte dringend gesucht werden. "Im zweiten Quartal dieses Jahres gab es fast zwei Millionen offene Stellen am Arbeitsmarkt", sagt Mathias von Lieben. "Das ist Rekord."
Trotz der Krisen und fehlender Arbeitskräfte wird das Rad der Veränderungen wohl nicht zurückgedreht, so Mathias von Lieben. Das gelte zum Beispiel für das Homeoffice. Laut der Berufe-Studie finden zwei Drittel der Befragten Unternehmen attraktiver bei der Berufswahl, wenn sie mobiles Arbeiten anbieten. "Jüngere Beschäftigte unter 40 Jahren glauben sogar, dass die Arbeit dadurch qualitativ besser wird", sagt unser Reporter.
Dieses Mindset werde nicht mehr verschwinden, glaubt der Soziologe Philipp Staab. Hinzu komme, dass Arbeitskräfte künftig weiterhin gesucht werden, wenn die Babyboomer nach und nach in Rente gehen. Das verändere die Verhandlungsmacht der jüngeren Menschen am Arbeitsmarkt.
"Die Babyboomer verlassen den Arbeitsmarkt und das verändert auch das Machtpotenzial und die Verhandlungsmacht von jüngeren Menschen."
Entscheidend seien möglicherweise auch ganz neue Modelle, die es vielleicht erlauben, dass man Arbeitszeitkontingente über den ganzen Lebensverlauf hinweg aufbauen und verrechnen kann.