BedeutungsverlustWarum uns Kirche nicht egal sein kann
Mehr als die Hälfte der Deutschen gehört keiner Kirche mehr an. Trotzdem können uns die Kirchen nicht egal sein. Denn sie haben immer noch Einfluss auf unsere Gesellschaft und wir finanzieren sie durch unsere Steuern.
Nach den Missbrauchsskandalen in den Kirchen und der mangelnden Aufarbeitung sind immer mehr Menschen ausgetreten und haben ihrer Kirche den Rücken gekehrt. Nach Angaben der "sozialwissenschaftlichen Forschungsgruppe Fowid" von Carsten Frerck, aber auch laut einer Umfrage des Allensbach-Instituts Ende 2021, gehören inzwischen mehr Menschen in Deutschland keiner Kirche an. Dennoch sind Kirchen nicht nur als Gebäude in den Städten und Dörfern präsent, sondern auch als die größten Arbeitgeber im sozialen Bereich.
Große Player im Sozialen
Statt in der Kirche begegnet man Christen am häufigsten wohl eher bei der Caritas und der Diakonie. Die Caritas ist der katholische Sozialträger, und die Diakonie der evangelische. Beide sind wichtige soziale Player und auch große Arbeitgeber in Bereichen wie Kindertagesstätten, Pflegeheimen, Kleiderstuben und Geflüchtetenhilfe.
Diese Institutionen – am Ende sind es die evangelische und die katholische Kirche – werden von uns finanziert, egal ob wir ausgetreten sind oder nicht. Denn beide Kirchen bekommen zusammen jährlich mehr als eine halbe Milliarde Euro an sogenannten Staatsleistungen.
Millionen Entschädigungen seit Jahrhunderten
Und dann sind da auch noch die Entschädigungen für die Enteignungen aus der napoleonischen Zeit. Mit dem 1803 in Kraft getretenen Reichsdeputationshauptschluss wechselte kirchliches Land an weltliche Besitzer, die dadurch für verlorene Gebiete entschädigt wurden.
Die beiden Kirchen wiederum erhalten seitdem Entschädigungen, sogenannte "Staatsleistungen", die sich auf den Vertrag von Lunéville vom 9. Februar 1801 beziehen. Im Jahr 2019 überwiesen die Bundesländer als Rechtsnachfolger der ehemaligen deutschen Staaten des 19. Jahrhunderts 549 Millionen Euro als Ausgleich für den vor 220 Jahren erlittenen Schaden.
Diese Entschädigungen werden heute mit Steuermitteln finanziert, die jeder Steuerzahler und jede Steuerzahlerin aufbringen muss. "Daraus werden übrigens auch die Gehälter der Bischöfe bestritten", sagt Christiane Florin aus der Dlf-Religionsredaktion.
Caritas und Diakonie werden nur zu einem ganz geringen Anteil aus Kirchensteuermitteln finanziert, der Großteil ist staatlich refinanziert. "Denn die Kirchen tun ja diese Arbeit im Auftrag des Staates, und dafür bekommen sie eben auch Geld", sagt Christiane Florin.
Staat auf Kirche angewiesen
Daran werde sich, auch wenn immer weniger Deutsche Kirchenmitglieder sind, so schnell nichts ändern. "Denn der Staat ist in gewisser Weise auf die Kirchen angewiesen", sagt die Dlf-Redakteurin. Sie sind wichtige Träger in der sozialen Arbeit und auch in der Bildung.
Dieses Krichenstaatsverhältnis oder kooperative Verhältnis steht im Grundgesetz. Um das zu ändern, bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag. "Ich kann bisher noch nicht erkennen, dass der politische Wille dazu wirklich da wäre", sagt Christiane Florin.
"Was sich allerdings verändert, und das auch schon länger, das ist der gesellschaftspolitische Einfluss vor allem der katholischen Kirche."
Allerdings verändere sich immer mehr der gesellschaftspolitische Einfluss, vor allem jener der katholischen Kirche. Bei der Debatte über die Streichung des Paragraphen 219a zum Informations- und Werbeverbot für Abtreibungen könne man das gut beobachten. Die Kirche ist gegen die Abschaffung des Gesetzes, "aber es wird darauf hinauslaufen, dass das abgeschafft wird". Auch bei den Themen "Sterbehilfe" oder "Ehe für alle" habe sich gezeigt, wie der moralisch-politische Einfluss nachlässt.