Ex-Salafist Dominic Schmitz"Erst spät gemerkt, wie wichtig mir Freiheit ist"
Als er 17 war, war Rap für Dominic Schmitz das größte. Dann wurde er Salafist: Nicht nur Musik war tabu, sein Leben ging vollkommen in der strengen Weltsicht auf. Heute sagt er, es sei gefährlich, so den Bezug zur Realität zu verlieren. Ein Gespräch über zwei Verwandlungen.
Dominic war 17 und lebte mit seiner Mutter in einer Erdgeschosswohnung in Mönchengladbach, als er das erste Mal dem Salafismus begegnete. Ein Freund, den er seit Monaten nicht gesehen hatte, klopfte an sein Zimmerfenster - so wie er es immer gemacht hatte. Doch plötzlich stand jemand absolut Verändertes vor ihm: langer Bart, andere Kleidung, von Rap wollte der nichts mehr wissen.
Als der Salafist ans Fenster klopfte
Es war die Begegnung mit dem alten Kumpel, die ihn beschäftigte: Wie konnte sich jemand so stark verändern? Alles aufgeben und anders leben? Damals, sagt Dominic, hat er sich ziemlich verloren gefühlt, sich mit Sinnfragen beschäftigt, auf die er aber keine Antworten bekam. "Ich war in dem Alter sehr schwierig. Seitdem ich 14 Jahre alt war, hab ich gemacht, was ich wollte. Ich hatte überhaupt keine Grenzen", sagt er. Eine Welt voller Regeln war das Kontrastprogramm dazu. Und das Gefühl: Ich habe die Wahrheit. Seine Transformation beschreibt er in seinem Buch "Ich war ein Salafist."
"Es hat damals eine Art eine von Reinheit symbolisiert. Alle meine anderen Kumpel waren sonst am Saufen, Kiffen, Schlägern."
Er ging in die Moschee, fand dort schnell Anschluss an junge Salafisten wie Sven Lau: Seine neuen Brüder gaben ihm Broschüren und Bücher zu lesen. "Ich habe das alles verschlungen", sagt Dominic, obwohl er nie viel gelesen hat. "Ich hab mich sofort verändert, kein Schweinefleisch mehr gegessen, mir einen Bart wachsen lassen, keine Musik mehr gehört". Der Salafismus schien auf alle Fragen leichte Antworten zu haben: "Was ist der Sinn des Lebens? Gott zu dienen."
"Auch wenn das blöd klingt: Eigentlich bin ich ein skeptischer Mensch. Aber irgendwie auch leicht zu beeindrucken."
Er begann zu missionieren. Auf der Straße, überall, immer. Schon den banalsten Anlass nutzte er als Gelegenheit, um das Gespräch auf Gott und den Islam zu lenken. Für ihn waren alle anderen die Irregeleiteten. "Über Jahre hatte ich keinen anderen Kontakt außerhalb meiner Brüder. Nur mit meiner Oma und meiner Mutter habe ich geredet. Aber dann eher über das Wetter." Das Leben spielte sich komplett in der Gemeinschaft ab.
"Mir ist egal, ob jemand einen Minirock trägt oder ein Kopftuch oder sonst etwas tut – solange er niemand anderem schadet."
Dominic sagt heute, er empfinde es als gefährlich, so den Bezug zur Realität zu verlieren. Sein Leben drehte sich damals nur um Allah. Und eine Religionsausübung, die keine Interpretationen des Korans zuließ. "Ich habe das so hingenommen. Ohne auf den historischen Kontext zu schauen. Dass dies eben Regeln von vor 1400 Jahren sind". Heute sagt er: "Ich habe erst spät gemerkt, wie wichtig mir Freiheit ist. Und damit meine ich nicht Frauen, Feiern. Sondern die Freiheit im Denken, im Handeln, im Fühlen“. Der Salafismus hatte ihm all das abgenommen.
"Rausgekommen bin ich da erst, als ich angefangen habe, das zu hinterfragen", sagt Dominic. Heute ist er immer noch gläubiger Muslim, hat sich aber losgesagt von einer immer aggressiveren und kompromissloseren salafistischen Szene. Einige seiner alten Brüder bedrohen ihn heute. Denn Dominic will aufklären, spricht in Schulen darüber, wie er sich veränderte, nutzt seinen alten Youtube-Kanal, um aufzuklären. Heute sagt er: "Ich habe nicht die ultimative Wahrheit. Ich begrüße alle Religionen, Atheisten, alle Menschen auf gleiche Weise."
Einige seiner alten Videos, auf denen er noch genauso argumentiert wie Pierre Vogel oder andere Salafisten, hat er auf seinem Channel stehen gelassen. Damit man sieht, wie er sich verändert hat.
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