SchwerelosigkeitWas 340 Tage im Weltall mit dem Körper machen
Astronaut*innen leben im All in Isolation und Schwerelosigkeit. Beides wirkt auf ihren Körper: auf ihre Muskeln, Körpergröße, das Herz und auch Gehirn. Ihre Erfahrung im Weltraum kann uns Erkenntnisse darüber geben, was unser Körper alles kann – und was mit ihm passiert, wenn wir zum Beispiel isoliert leben wie in der Corona-Pandemie.
Über 340 Tage ist der US-Astronaut Mark Vande Hei schon im Weltall. Niemand seiner Kolleg*innen aus den USA war bisher länger im All als er. Nach 355 Tagen auf der Internationalen Raumstation (ISS) soll der Nasa-Astronaut am 30. März 2022 wieder auf die Erde zurückgekehren. Damit würde sein russischer Kollege Waleri Poljakow mit fast 438 Tagen im All weiterhin den Weltrekord halten.
Im All wächst der Körper
Was nach der Rückkehr von Mark Vande Hei spannend sein wird, ist – neben seiner Forschungsarbeit auf der ISS – auch der Zustand seines Körpers. Der verändert sich während längerer Aufenthalte im All nämlich.
Die Schwerelosigkeit sorgt zum Beispiel dafür, dass die Astronaut*innen im Weltraum größer werden. Die Bandscheiben dehnen sich aus und der Körper wächst – in den ersten 24 Stunden durchschnittlich um fünfeinhalb Zentimeter, sagt die Weltraummedizinerin Bergita Ganse. Das bleibt aber kein Dauerzustand: Auf der Erde angekommen, schrumpfe der Körper auf die ursprüngliche Größe zurück.
"In fast allen Körpersystemen gibt es Veränderungen. Es gibt einen Muskelabbau, das Herz schrumpft, das Gehirn wird an manchen Stellen kleiner und man wächst."
Mit Puffy Face und Bird Legs im All
Als Folge der Schwerelosigkeit verschieben sich auch die Flüssigkeiten im Körper. Dann bekommen die Astronaut*innen ein dickes Gesicht und dünne Beine. Das zeigt, wie das Blut in Richtung Oberkörper und Kopf wandert.
Auf der Erde zieht die Gravitation das Blut in die Beine herunter, erklärt die Weltraummedizinerin. Während wir uns bewegen, pumpen die Beinmuskeln das Blut wieder nach oben. Sie kämpfen quasi gegen das Herunterdrücken an, das von der Schwerkraft ausgeht. "In Schwerelosigkeit hat man schöne schlanke Beine", so Bergita Ganse.
Bei längeren Aufenthalten im schwerelosen Raum kommt es auch zum Muskelabbau. Denn: Durch die Flüssigkeitsverschiebung wird die Beinmuskulatur nicht mehr benutzt. Also baut sie sich ab. Wenn die Kosmonaut*innen zurückkehren, würden ihre Beine am Anfang so weich sein wie Gummi.
"Man muss ungefähr zwei Wochen einplanen, bis man wieder normal gehen kann. Bis sich die Knochensubstanz wieder erholt hat, dauert es mehrere Jahre."
Im All für die Erde forschen
Auch das Gehirn passt sich dem Leben im All an. Eine Studie von Forschenden aus Belgien und Russland zeigte 2020, wie bei den elf untersuchten Astronauten die Bereiche des Gehirns an Masse zugenommen haben, die für Bewegungsabläufe zuständig sind.
Das war zum Beispiel im Motorkortex in der Großhirnrinde der Fall, der Signale an die Muskeln sendet, sie also steuert. Laut den Neurowissenschaftler*innen zeige das, wie sich das Gehirn der Schwerelosigkeit anpasse und umlerne.
Isolation lässt Gehirn kleiner werden
Eine Untersuchung von deutschen Forschenden zeigte wiederum, dass auch die Isolation einen Einfluss auf die Größe des Gehirns haben kann. Dafür haben die deutschen Forschenden die Gehirne von fünf Männer und vier Frauen untersucht, die über ein Jahr isoliert auf einer Forschungsstation in der Antarktis lebten. Ihre Gehirne haben sich in einigen Bereichen des Hippocampus verkleinert – und zwar in denen, die für räumliches Denken und das Gedächtnis zuständig sind.
Ähnliches ist auch bei Astronautinnen und Astronauten denkbar, weil im Weltall, so wie in der Antarktis auch, Reize und Interaktion abnehmen. Das Gehirn wird quasi weniger herausgefordert. "Der Körper reduziert immer alles, was nicht gebraucht wird. Deshalb stellt sich momentan auch die Frage, ob etwas Ähnliches passiert, wenn wir wegen Corona zu Hause in Isolation sind", erklärt sie. Die Experimente der Astronaut*innen im All könnten Hinweise dafür liefern.
Unser Bilder zeigt den US-Astronaut Mark Vande Hei in einer Kuppel der ISS, wie er auf die Erde blickt.