ArgentinienÜber 100 Jahre altes Abtreibungsgesetz entschärft
Der 30.12.2020 wird als historisches Datum in die Geschichte Argentiniens eingehen. Denn heute hat der argentinische Senat einer Entschärfung der Abtreibungsgesetze zugestimmt. Bisher galt in Argentinien eines der härtesten Abtreibungsgesetze weltweit. Jetzt ist es Frauen erlaubt, bis zur 14. Schwangerschaftswoche abzutreiben.
Bis zu dieser Entscheidung war eine Abtreibung nur möglich, wenn eine Frau vergewaltigt wurde oder Gefahr für das Leben der Mutter bestand. Sheila Mysorekar hat elf Jahre lang als freie Korrespondentin für die ARD in Argentinien gearbeitet. Dass der argentinische Senat heute einer Entschärfung zustimmen würde, war bis zum Ende nicht sicher, erklärt sie.
Ergebnis der Abstimmung lange unsicher
Denn obwohl sich das Abgeordnetenhaus bereits dafür ausgesprochen hatte, seien sich viele Senatoren bis zum Schluss nicht sicher gewesen, wie sie sich entscheiden wollen. Bei einer ersten Abstimmung über die Abtreibungsgesetze vor zwei Jahren war die Abstimmung schon mal am Senat gescheitert.
Diesmal standen die Chancen besser – denn die Bewegung der Abtreibungsbefürworterinnen und -befürworter war in den letzten zwei Jahren so stark geworden, dass ein Veto einer Entscheidung gegen den Willen des argentinischen Volkes gleichgekommen wäre, sagt Sheila Mysorekar. Das bisherige Abtreibungsgesetz in Argentinien war über 100 Jahre in Kraft und stammt aus einer Zeit, in der Frauen nicht einmal das Wahlrecht hatten.
Kirche übt starken Einfluss auf Politik aus
Hinzu kommt, dass die katholische Kirche starken Einfluss auf die Politik des Landes hat, weil es keine wirkliche Trennung zwischen Staat und Kirche gibt, erklärt die Korrespondentin. Auch die konservative evangelikale Kirche sei in Argentinien sehr stark und einflussreich. Dennoch hätten sich nicht nur, aber vor allem Frauen für eine Entschärfung eingesetzt. Ihre Haltung: Abtreibungen würden so oder so durchgeführt, nur eben illegal und unter unsicheren Umständen.
"Wir müssen Abtreibungen legalisieren, einfach um das Leben der Frauen zu retten."
Das neue Abtreibungsgesetz wird großen Einfluss auf das Leben der Frauen in Argentinien haben, schätzt die Journalistin. Zwar konnte, wer Geld hatte, auch schon vorher relativ sichere, illegale Abtreibungen organisieren. Aber gerade für arme Frauen oder Frauen auf dem Land war eine Abtreibung nahezu unmöglich.
Das sei auch dann der Fall gewesen, wenn es eigentlich vom Gesetz her möglich gewesen wäre – einfach, weil sich oft kein Arzt gefunden habe, der die Abtreibung hätte durchführen wollen, weil die Kirche so viel Druck ausgeübt hat.
Entscheidend: Dramatische Fälle zweier schwangerer Mädchen
Dass die Diskussionen zugunsten einer Entschärfung des Abtreibungsgesetztes gelaufen sind, darauf hatten auch zwei Fälle von schwangeren Mädchen großen Einfluss, berichtet Sheila Mysorekar: Eine Elf- und eine Zwölfjährige aus einer Provinz im Norden Argentiniens waren nach einer Vergewaltigung schwanger geworden.
Die Mädchen mussten die Kinder austragen, so die Journalistin, eine Abtreibung wurde nicht durchgeführt. In der 24. Woche wurden die Säuglinge per Kaiserschnitt geholt, sie überlebten die Geburt nicht. Die Mädchen seien schwer traumatisiert worden. Nach diesen Vorfällen hätten viele Menschen, die zuvor gegen Abtreibung waren, ihre Meinung über das bestehende Abtreibungsgesetz geändert.
"Ich bin skeptisch, wie schnell andere Länder folgen werden. Aber ich denke, es ist auch ein Erfolg für die Frauenbewegung. Und das gibt wieder Mut für die Bewegungen in anderen Ländern."
Das Ergebnis kann Signalwirkung auch für andere Länder auf dem südamerikanischen Kontinent haben, glaubt Sheila Mysorekar. Bislang sind Abtreibungen nur in Uruguay, Kuba und mit Einschränkungen in Mexiko erlaubt. Wie schnell auch andere Länder dem Vorbild Argentinien folgen, ließe sich nicht sagen. Denn auch in Brasilien hat nicht nur die katholische, sondern auch die evangelikale Kirche immer noch großen Einfluss. Den Frauenbewegungen in Südamerika dürfte dieser Erfolg in Argentinien aber neuen Mut geben, schätzt die Journalistin.