ArbeitskräftemangelArbeitspsychologin: 42-Stunden-Woche unrealistisch, Leute sind schon am Limit
Um den Arbeitskräftemangel auszugleichen, kommt von Arbeitgebern und Politikern der Vorschlag, die Wochenarbeitszeit auf 42 Stunden zu erhöhen. Das ist aber nur rein rechnerisch eine Lösung, sagt die Arbeitspsychologin Tabea Scheel. Die Arbeitsverdichtung sei schon so hoch, dass die Leute nicht mehr können.
Die Arbeits- und Organisationspsychologin Tabea Scheel hält den Vorschlag einer 42-Stunden-Woche von Arbeitgeber- und Politikerseite für einen verzweifelten Vorschlag gegen den Arbeitskräftemangel, der rein mathematisch funktioniere. Realistisch sei es nicht, die Wochenarbeitszeit zu erhöhen, weil die Arbeitsverdichtung schon sehr hoch sei.
"Es gibt viele Leute, die ganz schön leiden unter dem Arbeitsdruck, den sie haben, und die weitaus mehr mit ihrer Arbeit beschäftigt sind, als sie das möchten."
Dieser Druck entsteht dadurch, sagt die Arbeitspsychologin, weil wir heute viel mehr in einer Arbeitsstunde leisten müssen als früher. "Wir haben eine große Arbeitsintensivierung und das ist anstrengend." Hinzu komme der zunehmende Fachkräfte- oder Arbeitskräftemangel. Stellen können nicht nachbesetzt werden und diejenigen, die noch arbeiten, müssen mehr arbeiten.
Für alle, die in Jobs sind, bedeutet das Stress und weniger Erholung. Weniger Erholung bedeutet langfristig gesundheitliche Beeinträchtigungen, sagt Tabea Scheel.
"Das ist ein Riesenproblem. Viele Leute sind so verzweifelt, dass sie wirklich überlegen, auch Stunden zu reduzieren."
Im Bereich Pflege ist der Mangel an Kräften ein großes Problem, darauf haben die streikenden Pflegekräfte in den vergangenen Monaten deutlich hingewiesen und für einen Tarifvertrag Entlastung gekämpft. Aber viele Pflegekräfte hätten auch schon reduziert oder ganz den Job gewechselt, sagt Tabea Scheel.
Arbeitsdruck hoch - hunderte Millionen Überstunden
Der Wunsch von Arbeitgebern und aus der Politik, die Arbeitszeit auf 42 Stunden pro Woche zu erhöhen, hält Tabea Scheel für unrealistisch. Die Forderung drückt in ihren Augen die Verzweiflung aus, keine Arbeitskräfte finden zu können. Doch diejenigen, die arbeiten, würden einfach schon sehr viel arbeiten. Allein unbezahlte Überstunden summierten sich auf 900 Millionen Stunden pro Jahr, bezahlte lägen in einer ähnlichen Höhe.
"Wir haben in Deutschland bereits knapp 900 Millionen unbezahlte Überstunden im Jahr und dazu kommen eigentlich noch einmal genauso viel bezahlte Überstunden."
Statt die Wochenarbeitszeit zu erhöhen, sollte über andere Möglichkeiten nachgedacht werden, findet Tabea Scheel. Es fehle an Ideen, vor allem kurzfristig den Fachkräftemangel auszugleichen. Langfristig müsste auch das Thema Diskriminierung im Bildungsbereich angegangen werden, denn noch immer gibt es in Deutschland nicht die gleichen Bildungschancen für alle. Aber auch Chancengleichheit unter den Geschlechtern ist noch nicht hergestellt, weil Strukturen das verhindern.
Arbeitszeitreduzierung bleibt für viele ein Traum
Für viele, die aus Überlastung ihre Arbeitszeit reduzieren möchten, sei das aber gar nicht so leicht. Sie können sich das meist finanziell nicht leisten.
"Das ist wirklich eine relativ elitäre Diskussion über Arbeitszeitverkürzung. Das können sich viele in diesem Land überhaupt gar nicht leisten."
Für manche Jüngere oder Berufseinsteiger*innen fällt so eine Entscheidung leichter, weil sie eventuell noch keine Familie versorgen müssen und unabhängiger sind. Sie wollen vor allem nicht so schnell im Job verbrannt werden, wie sie das bei ihren älteren Kolleg*innen sehen.
Andere sehen vielleicht auch nicht die Sinnhaftigkeit in ihrem Job und wollen deshalb weniger arbeiten und ihre freie Zeit für etwas Sinnvolles einsetzen. Weiterer Grund: Mehr Zeit für die Kinder.