ArbeitslohnMenschen mit Behinderung: Warum sie nur 1,35 Euro pro Stunde bekommen

Der Mindestlohn in Deutschland liegt bei 12,41 Euro. Menschen mit Behinderung bekommen mit 1,35 Euro einen Bruchteil davon. Das empfinden viele als ungerecht, können sich aber nicht wirklich wehren. Eine Initiative setzt sich für mehr Teilhabe ein.

Petra arbeitet in einer Behindertenwerkstatt in Paderborn in Nordrhein-Westfalen. Sie baut dort zum Beispiel Federn in Schubladen und Schiebetüren ein oder verpackt Grußkarten in Umschläge. Petra ist Legasthenikerin, hat körperliche Beeinträchtigungen und hört sehr schlecht. Sie arbeitet in Teilzeit und verdient mit Essensgeld etwa 200 Euro im Monat.

"Lohn in Behindertenwerkstatt etwas höher als Bürgergeld"

Deutschlandfunk-Nova-Reporter Benni Bauerdick hat sie bei ihrer Arbeit besucht: "Petra sagt zum Beispiel, sie kann sich oft kein neues Paar Schuhe kaufen, wenn sie das möchte. Also sie lebt quasi auf einem etwas höheren Niveau als Bürgergeld. Es ist aber auch abhängig vom Grad der Behinderung, wie sehr das die Menschen stört."

"Menschen mit einer starken, geistigen Behinderung nehmen die 200 Euro dankend an wie eine Art Taschengeld."
Benni Bauerdick, Deutschlandfunk-Nova-Reporter

Der Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für Menschen mit Behinderung (BAG WfbM), Martin Berg, kann die Kritik der zu geringen Bezahlung in solchen Werkstätten nicht ganz nachvollziehen: "Der Lohn ist ja nur das, was zusätzlich bezahlt wird. Die Werkstattbeschäftigten haben eine ganz gute Erwerbsunfähigkeitsabsicherung beziehungsweise Altersrentenabsicherung. Wenn man das reduziert auf den Arbeitserlös, dann ist das zu kurz gegriffen."

"Job in Behindertenwerkstatt wie lebenslange Reha-Maßnahme"

Seit fast zehn Jahren gibt es die Initiative "uLPeDi" (unser Leben Petra und Dirk), die sich für Menschen einsetzt, die in einer Behindertenwerkstatt arbeiten – aber lieber auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einen Job hätten. Petra hat den Verein zusammen mit Dirk gegründet. Die beiden kritisieren, dass ein Job in einer Behindertenwerkstatt eher einer lebenslangen Reha-Maßnahme ähnelt.

Laut Artikel 27 der UN-Behindertenrechtskonvention gibt es ein gleiches Recht aller Menschen, eine realistische Möglichkeit zu haben, ihren Lebensunterhalt durch eine frei gewählte Arbeit zu verdienen. Soweit die Theorie. In Deutschland fehlt es aber an entsprechenden Rahmenbedingungen, damit Inklusion gut funktionieren kann.

"Es fehlt in Deutschland an inklusiven Ausbildungsstrukturen und auch an barrierefreien Arbeitsstätten."
Benni Bauerdick, Deutschlandfunk-Nova-Reporter

Ähnlich sieht das auch Natalie Dedreux, die einige Jahre in einer Behindertenwerkstatt der Caritas gearbeitet hat. Sie hat dort viel Wäsche gewaschen, die Spülmaschine ein- und ausgeräumt und sagt: "Das war mir zu langweilig." Deswegen arbeitet Natalie heute als Aktivistin und Journalistin mit Down-Syndrom. Sie hat inzwischen ihr erstes Buch veröffentlicht und schreibt gerade an einem zweiten.

Es gibt aber nicht nur Kritik an Behindertenwerkstätten. Dirk vom Verein "uLPeDi" sagt beispielsweise, dass sie Menschen mit Behinderung auch eine Tagesstruktur geben.

"Für viele Menschen mit Behinderung, die da beschäftigt sind, ist eine Werkstatt auch ein Ort des Zusammenkommens, um beispielsweise miteinander zu reden."
Dirk, Mitgründer des Vereins uLPeDi

Dirk hat Epilepsie und war eine Zeit lang in einer Werkstatt beschäftigt. Mittlerweile arbeitet er da nicht mehr. Aber er und Petra sagen, dass sie dort auch neue Freunde gefunden haben.

Martin Berg sieht noch andere Vorteile: "Arbeit ist mehr als nur Broterwerb. Arbeit ist auch Respekt zu haben und Wertschätzung. Arbeit ist, dass man sich wohlfühlt im Sinne von, dass man was geleistet hat. Und das ist für Menschen mit Behinderung ja auch ein großer Wert: das sie gebraucht werden."

Kongress: Menschen nicht in Werkstätten abschieben

Alle vier Jahre veranstaltet die BAG WfbM ihren Bundeskongress, den Werkstätten:Tag. Den gab es jetzt wieder im September mit rund 2.000 Teilnehmenden, 500 davon Mitarbeitende in Werkstätten. Es ging auch um die Frage: Wie kann das Konzept der Werkstatt verbessert werden, damit es gerechter ist und Inklusion besser funktionieren kann? Das Fazit dort: Es braucht solche Institutionen wie die Werkstätten – aber man sollte sich nicht darauf ausruhen und Menschen dorthin abschieben.