Forschung zum JudenhassWie sich Antisemitismus in Deutschland ausbreitet
Die Pogromnacht am 9. November 1938 ist einer der traurigen Höhepunkte eines staatlichen Antisemitismus in Nazi-Deutschland. Judenhass in Deutschland ist aber nicht nur Geschichte. Das hat der Anschlag auf eine Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019 gezeigt. Tatsächlich breitet er sich wieder stark aus, sagt Stefanie Schüler-Springorum. Sie ist Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin. In ihrem Vortrag erläutert die Historikerin die Geschichte und den aktuellen Stand der Antisemitismusforschung. Dabei nimmt sie als zentrale Kategorie Emotionen in den Fokus.
Antisemitismus ist deutlich älter als der deutsche Nationalsozialismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Deswegen gab es auch schon vor 1933 Antisemitismusforschung – und die wirkt aus heutiger Perspektive erstaunlich zeitgenössisch. Schon diese frühen Studien, erklärt Stefanie Schüler-Springorum, befassen sich mit dem sogenannten modernen Antisemitismus. Denn ihre Verfasser spürten schon in den 1920er Jahren, dass das, was sie beobachteten, nicht mehr allein mit dem tradierten Judenhass des Mittelalters erklärt werden konnte.
Emotion als Ansatzpunkt
Diese Pioniere der Antisemitismusforschung hielten sich laut der Historikerin nicht mit Zahlen und Statistiken auf. Für die frühen Antisemitismusforscher bestand kein Zweifel daran, dass es Antisemitismus gab und er ein weit verbreitetes Phänomen war. Woher er kam, das versuchten die damaligen Forscher mit erstaunlich zeitgenössischen Ansätzen zu klären, berichtet sie. Eine zentrale Analysekategorie dabei: die Rolle der Emotionen. Und genau dieser Ansatz rückt seit Kurzem auch wieder ins Zentrum der aktuellen Antisemitismusforschung, sagt Stefanie Schüler-Springorum.
"Die Zahl der antisemitischen Straftaten ist im letzten Jahr um 16 Prozent gestiegen."
In ihrem Vortrag erläutert sie kurz die Geschichte der Antisemitismusforschung, geht dabei auch auf den Wandel im offiziellen Umgang mit unserer Vergangenheit ein und stellt dann zentrale aktuelle Studien vor.
Interessant dabei ist, dass Umfragen zufolge antisemitische Einstellungen in Deutschland gar nicht so dramatisch zugenommen haben, wie viele Deutsche glauben, so die Historikerin. Sie weist darauf hin, dass gleichzeitig aber die Zahl antisemitischer Straftaten - vor allem gewalttätige - drastisch gestiegen sei.
Faktor Bildung
Zwar verringerte sich die Zahl der expliziten Antisemiten seit Ende des Zweiten Weltkrieges, aber die Gruppe der Indifferenten, jener, die ihren Antisemitismus nicht offen zugeben, auch der latenten oder Gelegenheits-Antisemiten, nehme zu. Und dem lasse sich, so Stefanie Schüler-Springorum, mit Bildung besonders gut vorbeugen.
"Bildung matters! Bei allen Studien ist es ziemlich eindeutig, dass die Bemühungen um Bildung und Prävention nicht umsonst sind, sondern eine messbar positive Wirkung haben."
Als einen der wichtigen Einflussfaktoren für Antisemitismus legen die Untersuchungen ein geringes Bildungsniveau nahe, erklärt die Historikern. Und deshalb appelliert sie unter anderem im Vortrag, dass die Ergebnisse dieser Untersuchungen auch in Bezug auf die Bildungsarbeit wirklich stärker berücksichtigt werden sollten.
Die Vortragende
Stefanie Schüler-Springorum ist Historikerin und leitet seit Juni 2011 das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. Ihren Vortrag "Antisemitismus-Studien. Ein Überblick" hat sie am 5. September 2019 im Rahmen der Konferenz "Antisemitismus-Studien und ihre pädagogischen Konsequenzen – Impulse zur Veränderung der deutschen Bildungslandschaft" gehalten, die der Zentralrat der Juden veranstaltet hat.