Tupoka OgetteAntirassismus-Expertin: "Wir sind alle von rassistischer Sozialisierung betroffen"
Wie überwinden wir nachhaltig Rassismus in der Gesellschaft, statt nur reflexhaft sich über den Tod von George Floyd zu empören? Tupoka Ogette ist Antidiskriminierungsexpertin und weiß, wie schwierig es ist, strukturellen und institutionellen Rassismus zu überwinden, mit dem wir aufgewachsen sind.
Auch wenn sich Tupoka Ogette schon viele Jahre mit Rassismus auseinandersetzt, in ihrem Podcast mit schwarzen Frauen über ihre Lebenswirklichkeit spricht und im vergangen Jahr das Buch "Exit Racism: Rassismuskritisch denken lernen" veröffentlicht hat, ist für sie diese Zeit aktuell sehr aufregend. Gefühlt ist es, wie zehn Jahre in einem, sagt sie. Der Tod George Floyds, die Proteste in den USA und weltweit mitten in der Coronavirus-Pandemie sei für alle Menschen wie sie selbst gerade sehr anstrengend – aber eben auch sehr hoffnungsvoll.
Raus aus dem kollektiven Schweigen
Tupoka Ogette ist Expertin für Vielfalt und Antidiskriminierung und hofft, dass die aktuelle Bewegung dieses Mal mehr in der Gesellschaft ins Rollen bringt als sonst, dass die Diskussion in Deutschland über Rassismus aus der reinen Reaktion auf Geschehnisse - wie jetzt auf den gewaltsamen Tod von George Floyd - herauskommt.
"Immer, wenn etwas passiert, gibt es einen kollektiven Aufschrei, und dann müssen schwarze Menschen und People of Color von ihren Rassismuserfahrungen erzählen. Das tun sie auch – und danach gibt es ein kollektives Schweigen."
Bisher verlaufe die Diskussion immer so: Es gibt ein rassistisches Ereignis, die Gesellschaft reagiert mit einem kollektiven Aufschrei, schwarze Menschen und People of Color (PoC) sollen dann von ihren Rassismuserfahrungen erzählen, was sie auch tun, und danach ebbt die Diskussion in kollektives Schweigen ab, beschreibt sie ihre Erfahrungen. "Ich hoffe, dass dieses kollektive Schweigen dieses Mal nicht einsetzt", sagt Tupoka Ogette.
Globale Bewegung wie noch nie
Der Unterschied zu vorherigen Rassismusbewegungen liege darin, dass sie weltweit sei. Tupoka Ogette sagt, dass in 17 Ländern Demonstrationen stattgefunden haben. Außerdem konnte jeder Mensch, der das Video gesehen hat, Zeuge der Polizeigewalt werden, weil die Szene gefilmt wurde, in der George Floyd von den Polizisten getötet wurde. Allein das habe bei vielen Menschen erst die Wut und Entrüstung ausgelöst.
Rassismus als strukturelles Problem anerkennen
Um eine nachhaltige Diskussion über Rassismus zu etablieren, ist zunächst die Anerkennung, dass Rassismus ein strukturelles Problem in Deutschland ist, eine wichtige Voraussetzung, sagt Tupoka Ogette. Rassismus werde öffentlich wie im privaten Rahmen immer nur als "etwas Situatives" diskutiert, als einen Fehltritt eines Individuums.
Tupako Ogette wundert sich, dass sie heute immer noch gefragt werde, ob wir in Deutschland ein strukturelles Rassismusproblem hätten. "Wir müssen damit beginnen, Rassismus als etwas zu betrachten, das historisch verankert ist", sagt sie. Wir müssten erkennen, dass Rassismus in Deutschland strukturell und institutionell in allen Bereichen der Gesellschaft wirkt, erklärt die Antidiskriminierungsexpertin.
"Wir sind alle von rassistischer Sozialisierung betroffen. Bevor wir das nicht erkennen, können wir nicht darüber nachdenken, wie es weitergehen soll."
Ein erster Schritt hin zu einer Veränderung wäre, den Geschichten, die Schwarze Menschen und PoC schon immer erzählen, zuhören, auch wenn dabei unangenehme Gedanken für die Selbstreflexion jedes Einzelnen auftauchen. Diese sollten wir annehmen, um uns auf einen rassismuskritischen Weg zu machen und den eigenen verinnerlichten Rassismus kennen zu lernen, um ihn aufzubrechen und zu überwinden.
Wichtiger Unterschied zu Rassisten
Dabei ist Tupoka Ogette wichtig zu unterscheiden zwischen einem Rassisten, der bewusst rassistisches Gedankengut verbreitet, und dem Menschen, der rassistisch sozialisiert ist. Die rassistische Sozialisation zeigt sich zum Beispiel in der Sprache: "Wenn wir mit unserer Sprache Räume rassismusärmer machen wollen, dann ist es sinnvoll auf unsere Sprache zu achten und darauf, wie unsere Sprache Rassismus reproduziert."
Ziel: Rassismusärmere Gesellschaft
Weiße sind auch mit gesellschaftliche Privilegien gegenüber Schwarzen und PoC aufgewachsen, die schwer zu erkennen sind. Beispiel: Weiße Deutsche müssen sich keine Gedanken darüber machen, wo sie in Deutschland hinfahren, um Urlaub zu machen, sie müssen keine Angst aufgrund ihrer Hautfarbe haben.
Diese Privilegien werden nicht einfach verschwinden, weil sich die Menschen ihrer bewusst werden. Vielmehr gehe es um die Frage, so Tupoka Ogette, was die Menschen mit diesen Privilegien machen. Sie sollten sich fragen, welchen Beitrag sie dazu leisten können, zu einer rassismusärmeren Gesellschaft beizutragen.
"Eins der Privilegien, die Weiße Menschen haben, ist, dass sie sich nicht mit Rassismus beschäftigen müssen."
Einen Schritt hin zu einer rassismusärmeren Gesellschaft ist die Universität Stuttgart mit der Online-Veranstaltung "Bye Bye Happyland – Rassismus besprechbar machen" gegangen. Tupoka Ogette ist in der Keynote zur Veranstaltung auf den institutionellen Rassismus innerhalb der Universität eingegangen. Teilgenommen hätten rund 300 Studierende und Lehrende, Schwarze und Weiße.
Tupoka Ogettes Hoffnung ist, dass die Weißen Teilnehmenden mit einem Gefühl der Verantwortung aus der Veranstaltung gegangen sind, weiter auf dem rassismuskritischen Weg zu gehen. Denn sie haben die Wahl, ob sie sich mit Rassismus beschäftigen wollen oder nicht, das ist eines ihrer Privilegien gegenüber schwarzen Menschen und PoC.
Stärkung der Schwarzen Gemeinschaft
Für die Schwarzen Teilnehmenden hofft Tupoka Ogette, dass sie eine Stärkung und ein Gefühl der Verbundenheit durch die Veranstaltung erfahren haben. Für schwarze Menschen und PoC ist die Vernetzung untereinander sehr wichtig, sagt Tupoka Ogette. Für sie sei es von Bedeutung mit anderen schwarze Menschen und PoC Mehrheitserfahrungen zu machen und eine gemeinsame Sprache zu finden für das, was sie erleben.
"Ich begegne vielen schwarzen Menschen, PoC, die mit einer unfassbaren Stärke und Größe jeden Tag Strategien im Umgang mit Rassismus entwickeln."
Durch diese Vernetzung sei ein gegenseitiges Empowerment möglich. Gerade dieses Sich-Vrbinden stärke schwarze Menschen in Deutschland, die hier sehr vereinzelt aufwachsen, weiß Tupoka Ogette aus eigener Erfahrung. Und sie sind von klein auf dazu gezwungen, Strategien im Umgang mit Rassismus zu entwickeln.
"Der Schritt zur Community, zur Verbindung, ist einer, der wahnsinnig wichtig ist."
Tupoka Ogette wurde 1980 in Leipzig geboren, studierte Afrikanistin und Wirtschaftswissenschaftlerin. Sie arbeitet bundesweit als Expertin für Vielfalt und Antidiskriminierung, leitet Trainings, Workshops und Seminare zu Rassismus und dessen Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft und ist darüber hinaus als Rednerin, Beraterin und Autorin tätig.