Mord in Idar-ObersteinPolitikwissenschaftlerin: "Corona-Leugner entfernen sich immer weiter von der Realität"
Gegenüber den Ermittlern soll der mutmaßliche Täter nach dem Mord in Idar-Oberstein gesagt haben, dass er die Corona-Maßnahmen ablehnt und den getöteten Kassierer als "verantwortlich für die Gesamtsituation" sieht. Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun glaubt, dass sich die Querdenker-Szene weiter radikalisieren wird.
Ob der Mann selbst Leugner der Corona-Pandemie ist, lässt sich nicht abschließend beantworten. Die Ermittlungen laufen noch. In Chaträumen der Querdenker-Szene wird die Tat begrüßt. Hinweise zur Gesinnung des Mannes geben dessen Social-Media-Profile. Das Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) hat diese identifiziert.
Der Ton der Querdenker-Szene verschärft sich auf Telegram
Die Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun überrascht die Tat nicht. Sie sagt, dass sich der Ton seit einigen Monaten in einschlägigen Gruppen und Kanälen der Querdenker*innen – zum Beispiel auf Telegram – verschärft hat. Sie vermutet als Hintergrund, dass viele Vorhersagen von Verschwörungstheoretiker*innen nicht eingetreten sind. Unter anderem sei etwa behauptet, dass nächste Woche Panzer durch Berlin fahren.
"Zahlreiche Prophezeiungen von Verschwörungstheoretikern sind in den vergangenen Monaten nicht eingetreten. Es wurde behauptet, dass nächste Woche die Panzer durch Berlin fahren. Oder dass der Bürgerkrieg ausbricht und man kurz vor dem Sieg ist."
Da die Vorhersagen nicht eingetreten sind, ändere sich die Stimmung. Katharina Nocun vergleicht die Bewegung der Corona-Leugnenden mit einer Sekte. Dort blieben vor allem diejenigen dabei, die am meisten in ihren Glauben investiert haben. "Wenn man sich eingestehen muss, falschgelegen zu haben, ist man bereit, immer krassere Dinge zu glauben", so Nocun.
Eigener Glaube rechtfertigt Gewalt gegen andere
Die Politikwissenschaftlerin sagt, dass die Anhänger*innen der Querdenker-Szene das Narrativ verwenden, in einer Diktatur zu leben. "Dazu gehört auch, zu glauben, dass man im Widerstand ist. Das wird im schlimmsten Fall zu einer Heldengeschichte, die man weitererzählt", sagt Nocun. In dieser Erzählung rechtfertige das die Gewalt gegenüber anderen.
Je mehr sich die eigenen Vorstellungen von der Realität entfernen, desto radikaler werden Menschen. Das zeigten einige aktuelle Fälle, so Nocun.
"Man sieht, dass Verschwörungsideolog*innen versuchen, immer neue Geschichten zu bringen. Das Rad dreht sich immer weiter und sie entfernen sich immer weiter von der Realität. Da bringen auch Faktenchecks nichts. Die lesen die Anhänger sowieso nicht."
Es wird die Geschichte erzählt, dass Medien ohnehin Teil der Verschwörung sind. Die Politik dringt zu Verschwörungsideologen nicht mehr durch. Katharina Nocun kritisiert, dass sich die Politik nicht eher abgegrenzt hat: "Wir hatten in den letzten anderthalb Jahren auch Situationen, in denen Politiker zu Querdenker-Demos oder zu ähnlichen Demonstrationen gegangen sind."
"Dass die Politik Gesprächsbereitschaft gezeigt hat, war gut gemeint. Aber damit stößt man den Opfern von Verschwörungserzählungen vor den Kopf."
Katharina Nocun glaubt, dass man weniger mit Verschwörungserzähler*innen sprechen sollte. Man sollte eher mit denen reden, die darunter leiden, dass Verschwörungserzählungen weiterverbreitet werden. Als Beispiel nennt sie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Impfzentren oder in Supermärkten, die angepöbelt werden, weil Kund*innen eine Maske tragen müssen. Anhängerinnen von Verschwörungsmythen sehen die Maske als Symbol einer Diktatur.
Angst bei Mitarbeitenden
Viele Mitarbeitende hätten nach dem Attentat von Ida-Oberstein Angst. Katharina Nocun sagt, dass man diesen Menschen mehr Gehör geben sollte als den Leugnern. Katharina Nocun glaubt, dass sich die Querdenker-Szene weiter radikalisieren wird. Ein Eingriff durch Politik hat keinen Einfluss mehr.
"Die Gegnerinnen und Gegner grenzen sich bewusst von Politik, Medien und Wissenschaft ab. In dem Narrativ werden die drei Gruppen als Teil einer Verschwörung gesehen. Es wird nicht zu einer Annäherung kommen."