Annedore Langner rettet WildvögelDie Vogelfrau
Annedore Langner päppelt verletzte Vögel auf. Sie hilft damit nicht nur den Tieren, sondern auch den Menschen, die keine Ahnung haben, was sie mit einem kranken Vogel tun sollen. Trotzdem gibt es Viele, die für die Vogelfrau nur ein Kopfschütteln übrig haben. Anne Bohlmann hat Annedore für uns besucht.
Anmerkung: Dieser Text ist die Grundlage für einen Radiobeitrag. Der beinhaltet Betonungen und Gefühle, die bei der reinen Lektüre nicht unbedingt rüberkommen. Außerdem weichen die gesprochenen Worte manchmal vom Skript ab. Darum lohnt es sich, auch das Audio zu diesem Text zu hören.
"Ich bin die Vogelfrau in Berlin und Brandenburg und alle Bürger, die einen Vogel gefunden haben und nicht weiter wissen, die kommen zu mir und dann helfe ich denen, und den Vögelchen auch."
Annedore Langner ist Ende 50, lange, rote, selbstgefärbte Haare, kleine Metall-Brille, Typ Nulltarif. Und sie redet da grad über wilde Vögel, die ihr gebracht werden, also Vögel, die zum Beispiel ausm Nest gefallen sind oder die sich den Flügel gebrochen haben. Um diese Vögel kümmert sie sich. Manche Leute bringen ihr die in einer Playmobil-Box, andere packen nen winzigen Spatz in die Verpackung von ner Kettensäge.
Im September ist Ringeltaubenzeit
An diesem Tag waren schon zwei Leute da und haben Vögel abgegeben – und zwar wilde Ringeltauben. Die sind ein bisschen größer als normale Stadttauben und haben nen weißen Fleck am Hals. Als ich Anfang September bei Annedore Langner zu Besuch bin, ist nämlich gerade Ringeltaubenzeit. Die Brutzeit geht zu Ende und sie zieht die letzten Vögel für die Saison groß. Außer den Tauben sind noch ein Rotkehlchen und eine Drossel da.
Jeder Vogel, der ihr gebracht wird, bekommt ein Stammblatt. Darauf schreibt sie den Vor- und Nachnamen des Finders, den Fundort und wann der Vogel gefunden wurde, solche Sachen. Das ist für die Behörden und den Naturschutzbund, sie muss alles dokumentieren.
"Wenn der Vogelfinder nett ist, dann malt Annedore Langner neben den Namen ein Herz. Und wenn er besonders nett ist, ein Doppel-Herz."
Wenn der Vogelfinder nett ist, dann malt Annedore Langner neben den Namen ein Herz. Und wenn er besonders nett ist, ein Doppel-Herz. Sie macht das, um sich daran zu erinnern, dass es auch viele gute Menschen gibt da draußen. Aber ziemlich oft hat sie das Gefühl, dass Menschen ihr eher Steine in den Weg legen. Dass die Ansprüche an sie stellen, aber nichts geben wollen. Mit den Menschen ist es für sie oft anstrengender als mit den Vögeln.
"Mit den Vögeln habe ich immer eine gute Zeit, ich hatte mit den Vögeln noch nie eine schlechte Zeit, die sind immer nett zu mir."
"Vögel machen" nennt sie das, wenn sie Wildvögel gesundpflegt und aufpäppelt. Zu ihr kommen kranke Tiere und ganz kleine, die keine Eltern mehr haben. So im Durchschnitt versorgt sie von April bis Oktober ungefähr vierzig Vögel gleichzeitig – und zwar bei sich zu Hause.
Ein Wohnzimmer voll mit Vögeln
Und das ist schon ein bisschen krass, weil in ihrem Häuschen ist wirklich nicht so viel Platz: Das Wohnzimmer ist der größte Raum, 15 Quadratmeter vielleicht. Und die sind ziemlich voll gestellt mit Möbeln. Dann sind da noch die ganzen Käfige und das Vogelfutter, in so großen, weißen Plastikeimern. Für Annedore Langner ist da eigentlich nur noch Platz auf dem Sofa. Sie sagt aber, so ein richtiges Wohnzimmer vermisst sie nicht. Die Vögel sind der Mittelpunkt ihres Lebens, die will sie um sich haben. Sie hat zwar einen Lebensgefährten, der ein paar Häuschen weiter wohnt. Aber sonst, Freunde, Familie, die zu Besuch kommen, gibt es nicht in ihrem Leben. Sie sagt, andere finden sie zu anstrengend. Kommen nicht klar mit ihrer direkten, schroffen Art. Sie ist die Vogelfrau. Sogar ihr T-Shirt hat einen Vogel-Aufdruck.
Füttern wie die Vogeleltern
Für die Vögel ist Annedore Langner so etwas wie der Elternersatz. Und das heißt für sie vor allem: Füttern. Die Jüngsten, die erst ein paar Tage alt sind, brauchen alle fünfzehn Minuten Nahrung. Dafür rührt sie in ihrer winzigen Küche einen besonderen Brei an. Den hat sie selbst entwickelt – Spurenelemente, Mineralstoffe, Proteine, da ist alles drin, um einen Vogel groß zu kriegen. Sie nimmt dann eine Ringeltaube nach der anderen aus dem Käfig. Ein fester Handgriff und das Tier sperrt den Schnabel auf.
Reporterin: Das ist jetzt dieser Brei?
Annedore Langner: Das ist der Brei. Und die kriegen Kropfröhrchen in den Hals, weil Tauben werden grundsätzlich über Kropf gefüttert.
Reporterin: Das heißt es, kommt ein Röhrchen in den Schnabel – und dann wird das reingedrückt.
Annedore Langner: die hat auch schon schön verdaut, die es noch ganz klein.
Man hört das hier – die Tiere, die rühren sie. Aber sie ist keine, die sentimental wird, wenn ein Vogel stirbt. Draußen, in der Natur, überleben 80 Prozent der Jungvögel das erste Jahr nicht. Gehört halt dazu. Sie ist nicht vom "Schmuse- und Kuschel-Tierschutz", so sagt sie das selbst. Die meisten Vögel, die bleiben ein paar Wochen bei ihr. Wenn sie fit sind, kommt der Naturschutzbund, um sie auszuwildern.
Annedore Langner: Also die, die hier sind, sind alle sauber, die haben nix mehr, keine Trichomonaden, keine Bakterien, keine Salmonellen. Die geht heute raus, die geht heute raus, die gehen heute raus, eine behalte ich hier als Vorpicker.
Reporterin: Was heißt das?
Annedore Langner: Die frisst selber und eine, die noch nicht selber frisst, die kommt dann dazu und sieht, was die macht, und guckt sich das von der ab, und frisst dann in ein paar Tagen auch selber.
Die Arbeit mit Vögeln ist ihre Berufung
Als ich da bin, holt ein Nabu-Mitarbeiter sieben Wildtauben ab. Annedore Langner holt die Tauben dafür aus den Käfigen und setzt sie in die Transportboxen und dafür packt sie richtig zu.
Die Arbeit mit den Vögeln ist für Annedore Langner ihre Berufung. Sie fängt morgens um sechs an, um Mitternacht hört sie auf. So ein Leben muss man schon wollen, hat mal jemand zu ihr gesagt, und das stimmt, sie will das.
Hat nicht geklappt, heißt: Die Vögel sind gestorben. Annedore Langner merkt aber damals: Das Sich-Kümmern, das liegt ihr. Sie will irgendwann Krankenschwester werden. Darf sie aber nicht. Stattdessen muss sie Schneiderin lernen. Ihre Kindheit war alles andere als glücklich. Die Eltern verprügeln sie. Sie wächst in einer Pflegefamilie auf, ist froh, als sie irgendwann rauskann. Sie versucht dies und das, fährt zur See, arbeitet als Nachtwache. Und schließlich landet sie doch in der Pflege. Versorgt sterbende Patienten, als Geriatrie-Schwester. Das sind alles schlecht bezahlte Jobs. Oft belastend. Aber Annedore Langner macht diese Arbeit mit viel Hingabe – andere Menschen pflegen. Ihre Bedürfnisse erkennen.
Annedore Langner gibt viel für den Job. Aber es kommt wenig zurück.
Vielen Patienten fällt es zum Beispiel schwer, sich auf den Stationen zurechtzufinden, überall die gleichen gelben Wände. Also bemalt sie die. Jedes Stockwerk ein anderes Motiv: Mohrrüben. Sonnenblumen. Ihre Kollegen verstehen das nicht. "Da kriegen Sie eine Abmahnung". Sie gibt viel für den Job. Aber es kommt wenig zurück. Und Beziehungen zu Menschen außerhalb des Jobs aufzubauen, fällt ihr auch schwer, bei den Arbeitszeiten.
"Und da haben dann wieder Menschen, die mich kannten, abgeleitet: Ach, die züchtet Vögel, die kann das, und brachten mir Wildvögel. War natürlich ein Irrtum."
Annedore Langner: Durch den Pflegeberuf, den ich hatte, hatte ich dann irgendwann vier Schichten und konnte gar nicht mehr leben. Ich konnte keinen Tanzkurs besuchen, keinen Sprachkurs besuchen, nicht mal Strickkurse besuchen, ich konnte einfach nichts, da habe ich mich darauf beschränkt Kanarien- und exotische kleine Vögel zu züchten. Und da haben dann wieder Menschen, die mich kannten, abgeleitet, ach, die züchtet Vögel, die kann das, und brachten mir Wildvögel. War natürlich ein Irrtum, aber ich bin ja dann dran geblieben, und habe mich gefragt, warum ist er jetzt gestorben, wie geht das? Und so hat sich das dann ja ergeben, zumal "ergeben" ist das richtige Wort – ich habe mich dann, dem Ruf des Lebens, des Schicksals ergeben, weil es ist mir so oft passiert, da habe ich dann aufgegeben, ich hab gesagt, gut, ich mache es, ja, so ist das alles.
Statt der Menschen lässt sie Wildvögel in ihr Leben
Manche Tiere wird sie nie vergessen.
Annedore Langner: 2006 habe ich eine Meise gefunden, eine Kohlmeise. Und hatte sie dann zu Hause und habe ihr dann auch dies und jenes gefüttert. Und irgendwie hatte ich dann so eine innere Stimme geh doch da noch mal hin und da lagen noch zwei in dem Kellerloch, so also hatte ich 3. Diese drei sind mir – gelungen.
Von da an werden es ständig mehr. Und das wiederum verdankt Annedore Langner den Menschen. Es spricht sich rum, dass sie kranke Wildvögel aufpäppelt. Leute kommen mit Pappboxen mit Vögeln drin vorbei. Irgendwann hört auch der Naturschutzbund von ihr. Geld bekommt sie dafür keins.
Sie wohnt damals noch im Berliner Stadtteil Wedding: Fünfter Stock, 56 Quadratmeter, und immer mehr Vögel in der kleinen Wohnung. Irgendwann ist kaum noch Platz, sie schläft auf einer Klappmatratze auf dem Boden, sonst überall Käfige, es zwitschert und kreischt. Das Futter, die Medikamente, das bezahlt sie alles aus eigener Tasche. Und kommt langsam an ihre Grenzen. Körperlich und finanziell. Sie ist frühverrentet, Burnout, wegen ihrer Arbeit als Geriatrie-Schwester. Das heißt: Sie bekommt ungefähr 900 Euro im Monat vom Staat. Andere Unterstützung von außen, auch finanziell, gibt es nicht. Sie setzt sich hin und fragt sich: Will ich das wirklich? Und gründet einen Verein, um Spendengelder entgegennehmen zu können, zehn Jahre ist das her.
Sie eckt an mit ihrer Art zu Leben
In dieser Zeit im Wedding fangen auch die Angriffe an: Menschen zeigen sie an, stellen ihre Arbeit in Frage. Als Vogelfrau eckt sie an mit ihrer Art zu leben. So viele Tiere auf engem Raum, das versteht keiner. Das stößt ab. Sie passt nirgends so richtig rein. Viele stecken sie in die Schublade "Tiermessie".
Annedore Langner: Wir haben eine Hochsaison der Brutzeit, keiner macht es, alle kommen zu mir und dann sehen die natürlich auf kleinstem Raum, weil die Vögel sind klein und die müssen klein untergebracht werden, und dann stapelt sich das ja so und dann denken die: "Oh ein Tiermessi!" Nein, ich bin kein Tiermessie, die Kleinsten muss ich um mich haben in ganz kleinen engen Behältnissen, weil ein Nest ist klein, ein Nistkasten, ein Brutkasten ist klein, das muss man so verstehen, aber die Menschen verstehen es nicht, weil die Menschen mittlerweile heutzutage ganz weit weg sind von der Natur.
Annedore Langner fühlt sich von den Menschen missverstanden. Aber sie sieht auch ein: Es ist zu eng in der Wohnung. Sie versucht etwas anderes zu finden für die Vögel, einen Schuppen, einen Stall, irgendetwas, schreibt Politiker an. Es klappt nicht, immer die gleiche Antwort.
Annedore Langner: Wunderbar Frau Langner, wir schätzen es sehr, was sie da machen, machen sie weiter, aber nein, wir haben nichts für Sie, also bin ich zehn Jahre lang in den Müll gegangen, Containern. Bei verschiedenen Supermärkten, die man so hat, da brauchte ich kein Geld für Lebensmittel auszugeben. Leute, die das dann mittlerweile wussten, was ich mache, haben mir Kleidung gebracht, die sie nicht trugen, brauchte ich nichts für Kleidung ausgeben, in Urlaub fahre ich sowieso nicht, zum Friseur gehe ich auch nicht, das mache ich alles alleine. Ich brauche ja im Grunde nichts.
Ihr Traum ist ein eigenes Häuschen
Annedore Langner opfert sich auf – für die Vögel, für ihre Berufung. Sie spart, wo sie kann. Ihr Traum ist ein eigenes Häuschen für sich und die Tiere. Sie arrangiert sich mit der Situation, improvisiert. Sie hat früh gelernt, alleine klarzukommen. Schon mit 16 ist sie in eine eigene Wohnung gezogen. Hat sich später aus der Ehe mit einem prügelnden Mann befreit. Eine Vergewaltigung überlebt. Sie ist eine, die sich durchbeißt. Die weitermacht. Die Seele leidet, aber sie kommt schon klar, irgendwie geht es immer weiter. Und so ist es auch dieses Mal: 2013 hat sie genug Geld zusammengekratzt, um sich ein Häuschen in Spandau zu kaufen. Die Villa "Finde Vogel". Eine Hütte in der Schrebergarten-Siedlung. Für 34 000 Euro. Sie hatte was zur Seite gelegt, für die Rente. Das investiert sie in das Häuschen.
"Da hab ich meine private Anspar-Rente für aufgelöst und das halt alles noch mit in den Topf geworfen, was ich da beim Containern und Sonstigem gespart hatte."
Und gerade, als sie glaubt, jetzt kann sie sich endlich in Ruhe um die Tiere kümmern, da tauchen neue Probleme auf: Erst ist das Dach kaputt, dann fault der Küchenfußboden weg. Kostet wieder Geld.
Annedore Langner: Das erste Jahr, als ich hier das Haus hatte, habe ich gedacht, ich werde verrückt, was da alles plötzlich auf mich zukam, was alles kaputt war, da habe ich aus den Abwürfen Grünkohlblätter geholt und habe den ganzen Winter Grünkohlsuppe gegessen.
Der Ärger hört nicht auf: Immer wieder gibt es Stress mit den Nachbarn, wegen Vogelfindern, die sich nicht an die Regeln halten und mit dem Auto direkt bis vor ihr Häuschen fahren. Kündigungsandrohungen, immer neue Anzeigen, mehrmals rückt das Veterinär-Amt an. Es heißt, sie würde den Tieren unbefugter weise Medikamente verabreichen. An öffentlichen Orten Vögel entgegennehmen. Sie hätte eine unzulässige Feuerstelle im Haus. All das hat keine rechtlichen Folgen. Aber es kostet Annedore Langner Energie. Energie, die sie lieber in ihre Berufung stecken würde.
Bei jedem Rückschlag überlegt sie, ob sie aufgeben soll
Das ist eine Frage, die ans Eingemachte geht. Weil die Vögel sind mittlerweile so sehr ihr Lebensinhalt geworden, dass ihr der Sinn abhandenkommen würde, wenn sie die Tiere nicht mehr hätte. Sie ist die Vogelfrau. Das ist ihre Identität geworden. Und sie hat sich in dieser Rolle eingerichtet. Aber gleichzeitig fühlt sie sich so unverstanden, dass sie ziemlich verzweifelt klingt.
Annedore Langner: Ich kriege Schreianfälle, mir sind die Haare ausgefallen, ich habe Bulimie, ich bin gesundheitlich am Ende und ich wünsche mir einfach nur, dass man mich in Ruhe lässt, mir ganz den Freiraum und die Ruhe lässt, die Vögel zu machen, wenn schon keiner helfen will, wenn schon keiner spenden will.
Natürlich gibt es auch die Mutter mit zwei kleinen Mädchen, die wenig hat und trotzdem ein paar Euro da lässt. Natürlich gibt es den Wohnungslosen, der einen Kumpel organisiert, der ihn auf seiner Fahrkarte mitnimmt, um mit den Öffentlichen einen Vogel vorbeizubringen. Und natürlich gibt es die alte Dame, die vor Erleichterung anfängt zu weinen, weil jetzt jemand anders die Verantwortung für das kranke Tier übernimmt. Das sind die Doppel-Herzen in ihrem Büchlein. Aber viele kommen mit einer Anspruchshaltung, sagt Annedore Langner, die sie nicht erfüllen kann und nicht erfüllen will. Menschen, die nicht verstehen, wie teuer es ist, einen Vogel wieder hinzukriegen: Amsel – 40 Euro. Ringeltaube – 50 Euro. Nebelkrähe – 70 Euro. Diese Menschen verstehen nicht, dass ihre Zeit knapp ist.
Annedore Langner: Ich stehe 40 Minuten auf der Straße auf meinem Weg vorm Haus. Und die kommen nicht und in der Tür hinter mir verhungern die Vögel, ich habe zu tun, das verstehen die nicht.
"So wenig diese Menschen sie und ihre Arbeit verstehen – so wenig versteht Annedore Langner die anderen. Deren Welt und ihre Welt, die passen nicht zusammen."
Ein ganzes Schulheft hat sie vollgeschrieben mit Namen von solchen Leuten. Sie wird aufbrausend, wenn sie von denen erzählt. Sie findet das respektlos. Und gleichzeitig zeigt das auch, wie hoch ihre Ansprüche an andere sind. Weil andere Menschen haben eben auch wenig Zeit und ja, das ist eine Ecke bis zu ihr nach Spandau. Und das zeigt so ein Unverständnis auf beiden Seiten: So wenig diese Menschen sie und ihre Arbeit verstehen – so wenig versteht Annedore Langner die anderen. Deren Welt und ihre Welt, die passen nicht zusammen.
Ihre Welt ist die der Amseln, Kernbeißer und Rotkehlchen. Und die der Vogelspezialisten. Da weiß sie, wen sie anrufen muss, wenn sie eine Frage hat.
"Vielleicht ist das auch die Art der Vogelleute, dass sie sehr für sich sind. Ich bin sehr gerne für mich. Ich sage immer so, ich bin gern allein, aber ungern einsam."
Die meisten Kontakte, die Annedore Langner zu Menschen hat, kommen wegen der Vögel zutande. Da sind die Vogelbringer, die sie in ihr Heftchen einträgt und mit Herzen versieht. "Bekannte" nennt sie die. Auch, wenn sie nie wieder etwas von ihnen hört. Und wer freundlich zu ihr ist, zu dem ist sie auch freundlich. Sie legt mir die Hand auf den Arm, als ich gehe. Sagt am Telefon: "Ich drück Sie", als sie sich verabschiedet. So wie sie diejenigen auf Abstand hält, die ihr blöd kommen, so sehr sucht sie die Nähe zu denen, die sie nicht ablehnen. Die Vogelfrau.
Sie sagt, dass sie sich keine Anerkennung von anderen für ihre Arbeit wünscht. Sie wünscht sich aber auch, dass alle einen Beitrag leisten, in welcher Form auch immer.
Schwierigkeiten kommen und gehen und kommen
Seit eine Berliner Tageszeitung über sie berichtet hat, gibt es mehr Spenden, und auch das Verhältnis zu den Nachbarn ist besser geworden: Sie wird jetzt ernster genommen. Aber es gibt schon wieder neue Schwierigkeiten: Vor kurzem wurde ihr das Spendenkonto gekündigt.
Annedore Langner: Mindestens einmal im Jahr überlege ich, ich lass es sein und wenn es so weh tut und kein Schlaf da ist und zu viele Vögel da sind und ich nicht weiß, wie ich es schaffen soll, da frage ich mich manchmal jeden Tag.
Annedore Langner ist jetzt Ende 50. Die Arbeit mit den Vögeln kostet sie viel Kraft. Aber sie gibt ihr auch viel. Zu viel, um aufzuhören.
Annedore Langner: Die Anerkennung, die beste, die größte Anerkennung, ist ein Vogel, der ganz klein zu mir kommt, noch nackt. Und irgendwann kommt der Nabu mit seiner Kiste, nimmt den mit und er geht hinaus ins Leben. Ja, das ist die Anerkennung, dass ich es geschafft habe.
Und so kriegt sie von den Vögeln etwas, was sie von den Menschen oft nicht bekommt. Was sie ihr ganzes Leben nur selten bekommen hat. Es wundert mich nicht, dass sie sich bisher jedes Mal fürs Weitermachen entschieden hat. Sie will nicht anders. Und sie kann nicht anders.
Annedore Langner: Zum einen ist es eine Gabe. Die ich nicht ignorieren und versanden lassen will. Zum Nächsten ist es ja eine Leidenschaft. Es ist eine Sucht, wie ein Spieler der sagt, oh, Mann ich muss mal wieder ins Casino, der Winter kommt, ich bin so froh, ich kann ausruhen, endlich sind meine Finger wieder, die Gelenke wieder heile, dann wird es Januar, Februar dann wird es März, Mensch kein Vogel kommt, was ist denn bloß los, sind sie alle tot, kommt denn keiner, haben sie mich alle vergessen, und dann wird es April, Mai und langsam tröpfchenweise geht es los. Und dann merke ich, alles ist wieder beim Alten, jetzt kommt wieder alles ins Laufen und dann ist Juno, Julei und irgendwo sitze ich in der Ecke und schreie nur noch "Hilfe, ich bin in der Vogel-Hölle". Ja, so, aus diesen Gründen, das ist wie eine Ehe, die man dann eingeht, ein Versprechen, ja, ich will.
Dass sie diesen Bund irgendwann auflöst, kann ich mir kaum vorstellen. Es ist ihr Lebenswerk. Aber wenn dieses Leben ihr doch irgendwann eine Grenze aufzeigen sollte, wenn sie irgendwann nicht mehr sehen kann, die Finger zu sehr schmerzen, und es wirklich nicht mehr so weitergeht, dann wird sie das akzeptieren, sagt sie. Sie hat sich das schon überlegt – sie wird dann mit den großen Vögeln aufhören, weniger Tiere annehmen. Und wenn der nächste Rückschlag kommt, dann wird sie auch das irgendwie verkraften. Muss sie. Hauptsache, sie kann weitermachen mit den Tieren. Denn sie ist und bleibt eben – die Vogelfrau.