Angriffskrieg auf UkraineGender als Rechtfertigung für Krieg
Um den Krieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen, führen Wladimir Putin und andere russische Player auch die Gender-Debatte, Homosexualität und Queerness als Argumente an. Was hinter dieser Strategie steckt, erklärt die Soziologin Kristina Stoeckl in ihrem Vortrag.
In seiner Annexionsrede Ende September zeichnet der russische Präsident Wladimir Putin das Schreckensbild eines komplett verrückten Westens, der schon den jüngsten Kindern in den Schulen Perversion aufzwinge, die zur Entwürdigung und Auslöschung führe. Ob die russischen Bürger Elternteil Nummer eins bis drei wollten statt Vater und Mutter, fragt er sie unter anderem suggestiv-rhetorisch.
Der Angriff auf die Ukraine als Kulturkrieg
Von solchen Fragen aus kommt Putin zur Diktatur westlicher Eliten, um dann den Bogen zu schlagen zur völligen Abkehr vom Menschsein, zum Sturz von Glaube und traditionellen Werten und schließlich zu nichts Geringerem als dem reinem Satanismus. Russland kämpfe in der Ukraine also unter anderem für Recht und Freiheit, gegen die Versklavung russischer Kinder und Kindeskinder und die Auslöschung des russischen Volks samt Sprache und Kultur.
"Es ist auffallend, dass seit den Maidan-Protesten 2014 die russische Propaganda die Ukraine als pro-gay, pro-LGBT darstellt."
Es ist nicht neu, dass der Westen als das Böse dargestellt wird, gegen das man sich wehren müsse, erklärt die Soziologin Kristina Stoeckl in ihrem Vortrag. Neu sei aber, dass diese Idee mit Bezug auf Gender artikuliert werde.
"Liberalismus wird als totalitäre Diktatur dargestellt."
Anhand weiterer Beispiele zeigt sie im Vortrag das Rechtfertigungsmuster auf, wonach Europa und Genderrechte als zentrale Unterscheidungspunkte zwischen Russland und westlichen Ländern beschrieben werden und der Krieg in der Ukraine auch als ein Kulturkrieg zwischen dem liberalen, säkularen Westen und dem religiösen, traditionellen Russland dargestellt wird.
Russland nimmt in diesem Narrativ die Heldenrolle der Schutzmacht ein, des Retters, des Verteidigers von Tradition und Werten an der Spitze eines konservativen Lagers – auch global gesehen.
"Homosexualität und Queerness wird gebrandmarkt und als etwas Westliches darstellt – Russland dagegen als Bastion der heterosexuellen Normalität."
Kristina Stoeckl leitet das Institut für Soziologie an der Universität Innsbruck. Sie forscht im Bereich Religionssoziologie und politische Soziologie zu Fragen von Wissens- und Wertordnungen, Pluralismus und Konflikten. Ihren Vortrag "Auch ein Kulturkrieg? Die Rolle von 'Gender' und 'Europa' im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine" hat sie am 19. Oktober 2022 auf Einladung des Viadrina Instituts für Europa-Studien gehalten.
Zum Thema hat Kristine Stoeckl gemeinsam mit Dmitry Uzlaner auch das Buch "The Moralist International: Russia in the Global Culture Wars" veröffentlicht, das ihr kostenlos als Open-Access-Ausgabe hier downloaden könnt.
Das Bild oben zeigt auf der linken Seite den russischen Präsidenten Wladimir Putin bei der oben erwähnten Annexionsrede am 30.09.2022 im Kreml.