Anders als die ElternWenn wir unser eigenes Ding machen
Joy hat gegen den Rat ihrer Eltern Jura studiert. Sie hätten einen Ausbildungsberuf passender gefunden. Erwartungen können einen ziemlich unter Druck setzen. Wie wir trotzdem unseren eigenen Weg gehen, weiß der Psychotherapeut Manuel Podlecki.
"Ich werde wie Richterin Barbara Salesch", wusste Joy schon als Sechsjährige. Damals war sie großer Fan des beliebten TV-Formats im Privatfernsehen. Dass sie später tatsächlich Jura studieren würde, sei trotzdem eine Überraschung gewesen – vor allem für ihre Eltern.
"Als Kind war ein bisschen ein anderer Weg für mich vorgeschrieben. Ich glaube, da hat wirklich keiner gedacht, dass ich mal Jura mache."
Als Kind sei sie sehr ruhig, schüchtern, zurückhaltend und ängstlich gewesen. Ein Ausbildungsberuf, Lehramt oder irgendwas mit Kunst – ihre Eltern, selbst keine Akademiker, hätten eine solche Wahl viel passender gefunden. Dass Joy etwas so Anspruchsvolles wie Jura studiert, hätten sie sicher nicht erwartet, sagt sie. Sie hätten aber auch niemals Druck hinsichtlich ihrer Berufswahl ausgeübt.
Von der Realschule zum Jurastudium
In der Schule seien ihre Leistungen nie schlecht gewesen. Aufgrund ihrer Ängstlichkeit rieten ihr die Lehrer aber vom Gymnasium ab, darum landete sie auf der Realschule. Auch beim Theaterkurs wurden ihr bestimmte Rollen nicht zugetraut. "Wenn man als Kind hört, du kannst das nicht, dann ist man ganz arg verunsichert. Und ich habe das oft gehört", sagt Joy.
Doch dann fasste Joy einen Entschluss: "Den Leuten zeige ich es, und ich mache das, was ich von klein auf gesagt habe, was ich machen will“, sagt sie. Ihr war klar: Um Jura zu studieren, brauche sie gute Noten, um auf das Gymnasium wechseln. Auf dem Gymnasium angekommen, sei das Abitur ihr nächstes Ziel gewesen. So hat sie es schließlich Schritt für Schritt bis zum Jurastudium geschafft, erzählt sie.
"Komm, den Leuten zeige ich es. Und ich mache das, was ich von klein auf so gesagt habe, was ich machen will."
Der Wechsel in ein akademisches Umfeld sei für sie erst mal schwierig gewesen. Mit den akademischen Hobbys vieler ihrer Kommilitonen habe sie anfangs gefremdelt. Rudern, Golfen oder Polo spielen – Joy, die lieber malt und kreativ schreibt, fand das total verrückt, sagt sie. Anfangs habe sie sich sogar einen Trenchcoat gekauft oder teuren Sportkurse besucht, um sich besser in das Umfeld zu integrieren. Diesen Druck mache sie sich schon länger nicht mehr. Wenn alles gut geht, stehe nächstes Jahr das Staatsexamen an.
Selbstentfaltung – eine Balance aus Bindung und Freiraum
Der Einfluss der Eltern auf den Lebensweg ist pauschal formuliert sehr groß, sagt der Psychotherapeut Manuel Podlecki – auch wenn es individuelle Unterschiede gibt. Für die Selbstentfaltung bräuchten Kinder Bindung und auch Freiraum. Zu viel Druck und Erwartungen könne diese Balance gefährden und die natürliche Entwicklung stören.
"Wenn wir ganz klein sind, dann gibt es für uns nur die Eltern. Zu ihnen schauen wir auf. Was sie machen, ist für uns richtig und unsere Orientierung."
In der Kindheit sind Eltern das primäre Orientierungsmuster, ihr Verhalten prägt unser Selbstbild, sagt Manuel Podlecki. So können negative Reaktionen oder Emotionen auf Dauer zu Selbstzweifeln führen und langfristige Probleme verursachen.
Innere Klarheit für eine bessere Selbstbehauptung
Als Psychotherapeut, so Manuel Podlecki, begegnet er regelmäßig Menschen, die nicht wissen, was sie wirklich wollen, durch äußere Erwartungen beeinflusst werden und Schwierigkeiten haben, sich gegen Widerstände der Eltern durchzusetzen. Innere Klarheit sei jedoch wichtig, um eigene Entscheidungen zu treffen und gegenüber den Eltern zu repräsentieren.
"Je mehr innere Klarheit ich habe und weiß, was ich machen will, desto leichter ist es, das mutig gegenüber den Eltern zu repräsentieren."
Ruheinseln, abseits von Ablenkungen wie Handy und sozialen Einflüssen, aber auch Aktivitäten wie Wandern oder Meditieren können helfen, um sich und die eigenen Bedürfnisse besser wahrzunehmen. Sich von den Erwartungen der Eltern emotional zu lösen sei ein längerer Weg und nur Schritt für Schritt möglich.
Auf dem Weg eines Menschen könne es auch passieren, dass wir Entscheidungen treffen, die sich wie ein Scheitern oder als nicht richtig anfühlen. Dabei kann auch das sehr hilfreich sein, so der Psychotherapeut. Es könnte zum Beispiel bedeuten, dass wir uns zu sehr in eine Richtung gezwängt haben und die authentische Verbindung fehlt. Es wird aber auch ein weiterer Schritt sein, unsere Wünsche, Sehnsüchte und Ziele besser zu begreifen.