ErstbesteigerDer schmale Grat
David Göttler und Kazuya Hiraide versuchen die Erstbegehung einer neuen Route in der Nordwand der Ama Dablam im Himalaja. Nachdem sie die Wand bewältigt und den Nordgrat erreicht haben, wähnen sie sich fast am Ziel: Nur noch vierhundert Höhenmeter zum Gipfel. Doch dann stecken sie fest.
Die Ama Dablam ist das Matterhorn des Himalaja. "Mit Sicherheit einer der formschönsten Berge, die es auf unserem Planenten gibt", sagt der erfahrene Bergführer David Göttler, der sich im Herbst 2010 zusammen mit Kazuya Hiraide aufmacht, um auf einer neuen Route diesen Berg im Himalaya zu besteigen. Genauer gesagt: die Nordwand. Eine Wand, die nie die Sonne sieht, in weiten Teilen von Eis überzogen ist, an der es ständig Lawinen, Schneerutsche und Steinschlaggefahr gibt. Es gibt nicht viele Bergsteiger, die so etwas überhaupt klettern können. David aus München und Kazuya aus Tokyo, der im Jahr zuvor die höchste Auszeichnung im Bergsport, den Piolet’Or, erhalten hat, gehören aber zweifelsfrei dazu.
"Wenn ich im Nachhinein drüber nachdenke, fällt es mir schwer, da einen Fehler zu sehen. Und wenn ich nicht wüsste, was am Ende passiert ist, würde ich sagen: Logo, probieren wir wieder."
Mitte Oktober mieten sie sich in einer Lodge gegenüber der Ama Dablam ein und bereiten sich auf den Aufstieg vor, machen Eingewöhnungstouren, prüfen die Schneeverhältnisse und warten auf klares und stabiles Wetter. Dann geht es endlich los. Es ist von vornherein klar, dass sie die Wand nicht in einem Tag durchsteigen werden. Schon vorher haben sie sich auf Fotos Stellen ausgeguckt, die für ein Biwak dienen könnten. Sie brauchen insgesamt vier Tage, bis sie am 6. November den Grat erreichen und die eisige Kälte der schattigen Nordwand hinter sich lassen. Sie glauben, sie haben es so gut wie geschafft. Bis zum Gipfel sind es nur noch 400 Meter.
"Oft wird Schnee, wenn man öfter drauftritt, fest und man kommt langsam vorwärts. Wir hatten da keine Chance."
Was sie in dem Augenblick nicht wissen: Tatsächlich sitzen sie in der Falle. Denn der Schnee auf dem Grat ist anders, als sie erwartet haben. Kein kompakter fester Altschnee sondern sogenannter Schwimmschnee. Der ist so grobkörnig und locker, dass man darauf nicht gehen kann. Die Amerikaner nennen diesen Schnee auch Sugar Snow, weil er wie Kristallzucker durch die Finger rinnt. David und Kazuya sinken bei jedem Schritt bis zur Hüfte ein. Den beiden wird immer mehr klar: Hier geht es nicht mehr weiter.
Zunächst, so scheint es, haben die beiden Bergsteiger Glück. Denn es gibt seit diesem Jahr zwei Hubschrauber, die in der Lage sind, Menschen aus Höhen bis 7000 Metern zu retten. Schweizer Luftretter der Air Zermatt haben sie zusammen mit der nepalesischen Fishtail Air aufgebaut. Hätten sie sich ein Jahr früher auf den Weg gemacht, wäre ihre Chance, diese Abenteuer zu überleben, an dieser Stelle ziemlich gering gewesen.
"Es zeigt, dass man versagt hat als Bergsteiger, wenn man sich bei so etwas retten lassen muss. Wo wir noch nicht mal einen Unfall hatten."
Sie rufen also den Helicopter. Aufgrund der großen Höhe kann der Hubschrauber immer nur einen aufnehmen. David und Kazuya spielen Schnick schnack schnuck - Schere, Stein, Papier. David gewinnt. Er darf als Erster in den Hubschrauber. Und dann beginnt die Geschichte, so richtig aus dem Ruder zu laufen.
Mehr zur Ama-Dablam im Netz:
- Die Bergretter im Himalaya | Film des Schweizer Fernsehens über der Luftrettung in Nepal. Darin auch der Ausschnitt vom Absturz des Hubschraubers bei Minute 31:40.
- Ama Dablam-Expedition 2010 | Tourenbericht von David Göttler in der Zeitschrift vom Alpenverein der Sektion Bayerland.