GiftanschlagAlexej Nawalny telefoniert mit seinen mutmaßlichen Attentätern
Der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny hat nach dem Giftanschlag inkognito seine Attentäter angerufen. Einer soll gestanden haben. Über die Zusammenarbeit mit Alexej Nawalny haben wir mit Fidelius Schmid vom Spiegel gesprochen, der die Recherchen zu den mutmaßlichen Nawalny-Attentätern geleitet hat.
"Ich habe meinen Mörder angerufen. Er hat gestanden." So heißt ein Video, das der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny gestern bei Youtube veröffentlicht hat. Darin ist der Video- und Audiomitschnitt eines Telefonats mit einem der mutmaßlichen FSB-Agenten zu sehen, der am Giftanschlag gegen Alexej Nawalny beteiligt gewesen sein soll. Um das Vertrauen des Mannes zu gewinnen, hat sich der Kreml-Kritiker in dem Gespräch, das am 14. Dezember stattgefunden haben soll, als Assistent des Chefs des russischen Sicherheitsrats ausgegeben.
Überlebt nur wegen Notlandung?
Alexej Nawalny war im August auf einem Inlandsflug in Sibirien zusammengebrochen. Der mutmaßliche FSB-Mann erzählt in dem veröffentlichten Telefonat, das Gift sei an der Innenseite der Unterhose angebracht gewesen. Alexej Nawalny habe den Anschlag nur überlebt, weil der Flug nicht lange genug gedauert habe. Der Pilot hatte damals eine Notlandung in der sibirischen Stadt Omsk unternommen. Nawalny war dort zunächst in ein Krankenhaus gebracht und später in die Berliner Charité geflogen worden, wo er aus dem Koma erwachte. Alexej Nawalny soll mit einem in der Sowjetunion entwickelten chemischen Nervenkampfstoff der Nowitschok-Gruppe vergiftet worden sein. Russland, explizit Präsident Wladimir Putin selbst, hatte diese Vorwürfe wiederholt zurückgewiesen.
"Wir haben Nawalny vor ungefähr sechs Wochen kontaktiert und mit unserer Recherche vertraut gemacht. Die Anrufe waren tatsächlich seine Idee."
Vergangene Woche hatten mehrere Medien – darunter der Spiegel, die Plattform für investigativen Journalismus Bellingcat und die russischsprachige Internetzeitung The Insider – Rechercheergebnisse veröffentlicht, denen zufolge mindestens acht russische Geheimdienstagenten den Anschlag auf Alexej Nawalny verübt haben sollen. Fidelius Schmid vom Spiegel hat die Recherchen zu den mutmaßlichen Attentätern geleitet. Alexej Nawalny war selbst an diesem Prozess beteiligt – so seien etwa seine Reisebewegungen mit den eigenen Recherchen abgeglichen worden.
Journalisten wussten nichts von Nawalnys Telefontrick
Die mutmaßlichen Attentäter anzurufen, sei Alexej Nawalnys Idee gewesen – er habe sie persönlich konfrontieren wollen. "Bevor ihr veröffentlicht, möchte ich selber mit denen reden", habe er die Journalisten gebeten. Sie haben ihm die Telefonnummern gegeben. Dass er damit aber eine Art Telefontrick geplant hat, inkognito anzurufen und sich als Vertrauter des russischen Präsidenten auszugeben, hatten sie nicht vermutet, erzählt Fidelius Schmid. Entsprechend überrascht seien sie gewesen. Vor allem darüber, dass einer der Verdächtigten dann auch tatsächlich Details ausgepackt hat.
"Nawalny hat die Telefonnummern von uns bekommen. Während des Anrufs war ein Kollege von Bellingcat dabei. Dass dann auch noch einer von denen redet – da haben wir gedacht: Das kann nicht wahr sein."
Fidelius Schmid war bei den Telefonaten selbst zwar nicht dabei – dafür aber ein Kollege von Bellingcat, erzählt er uns. Die Abteilung "Spiegel Dokumentationen", die dafür zuständig ist, Tatsachenbehauptungen zu überprüfen, habe die Echtheit der Aufzeichnungen verifiziert. Es bestehe kein Zweifel daran, so Fidelius Schmid.
Spiegel bestätigt Echtheit der Mitschnitte
Nawalny habe wohl zunächst versucht, andere Mitglieder der achtköpfigen Gruppe russischer Geheimdienstagenten anzurufen: Nach der Begrüßung "Hier ist Alexej Nawalny, warum habt ihr versucht, mich umzubringen?" hätten diese direkt aufgelegt.
Anschließend habe er dann versucht, einen der Agenten reinzulegen – zunächst ohne Erfolg: Der Mann habe ihm seine Rolle als Assistent des Chefs des Nationalen Sicherheitsrats nicht abgenommen. Mit den Worten "Ich weiß genau, wer sie sind" habe auch er aufgelegt. Beim mutmaßlichen FSB-Agenten Konstantin Kudrjawzew hat dann besser geklappt: Er sei zwar zunächst ein bisschen misstrauisch gewesen, habe dann aber doch 49 Minuten lang Rede und Antwort gestanden.
Recherche hatte ursprünglich gar nichts mit Nawalny zu tun
Die Recherche zu den Geheimdienstmitarbeitern habe vor über einem Jahr begonnen, hat uns Fidelius Schmid erzählt. Eigentlich habe sie ursprünglich gar nichts mit Nawalny zu tun gehabt. Im Zusammenhang mit Waffengeschäften und auch Drogen sei es um einen in Deutschland gestohlenen Mietwagen gegangen, der dann in Spanien wiederaufgetaucht ist. Der Spiegel habe das damals zusammen mit Bellingcat die Recherche begonnen. Die Spur habe nach Russland geführt – in Richtung mehrerer Chemielabore in Moskau und St. Petersburg. Die Vermutung, dass das etwas mit dem Nowitschok-Programm zu tun haben könnte, sei damals schon aufgekommen.
"Die Spur führte damals nach Russland – in mehrere Chemielabore in Moskau und St. Petersburg. Und von dort zum russischen Geheimdienst."
Die Recherche sei dann eine gewisse Zeit liegengeblieben – und im Nachgang zu Alexej Nawalnys Vergiftung dann wieder aufgenommen worden, so Fidelius Schmid. Bellingcat und der russische Partner "The Insider" hätten äußerst gute Quellen in Russland. So hätten sie Telefonverbindungsdaten der Laborchefs analysieren können, die wiederum zum russischen Inlandsgeheimdienst FSB führten. Es begann eine mühsame, monatelange Puzzlearbeit – die am Ende offensichtlich zum Erfolg geführt hat.
"Eine Riesenblamage für Putin"
Über die Folgen der Enthüllungen könne man nur spekulieren, sagt Fidelius Schmid. "Die diesjährige Förderungsrunde fällt für alle aus", glaubt er. Und Konstantin Kudrjawzew werde es wohl "bis auf Weiteres nicht sehr gut gehen".
Politisch betrachtet sei das Ganze eine Riesenblamage für den russischen Präsidenten. Noch letzte Woche hat dieser in einer großen Pressekonferenz zwar die Beschattung Alexej Nawalnys bestätigt. Wenn Russland ihn hätte vergiften wollen, dann wäre das aber auch zu Ende gebracht worden. Das jetzt noch zu behaupten, ist wohl ziemlich schwierig – selbst im postfaktischen Zeitalter, glaubt Fidelius Schmid.