Aktivistin Luisa L’Audace"Ich war lange Zeit unsichtbar behindert"
Luisa L’Audace setzt sich für Inklusion und Antidiskriminierung ein. Sie hat selbst oft Diskriminierung auf unterschiedliche Weisen erfahren. Und irgendwann erkannt: Sie muss sich für nichts rechtfertigen. Das System muss sich ändern.
Aufgewachsen ist Luisa L’Audace in einem kleinen Dorf in Hessen. "Ich habe auf Regelschulen sehr viel Diskriminierung erfahren – von Schüler*innen und Lehrer*innen", sagt sie. "Ich habe mich oft gefühlt, als wäre ich von einem anderen Planeten." Luisa wurde mit einer Behinderung geboren, die nicht jederzeit von außen zu erkennen ist. "Deswegen musste ich auch immer wieder beweisen, dass ich gewisse Dinge nicht kann."
Unsichtbare Behinderung
Das ist nur eine von vielen übergriffigen und erniedrigenden Erfahrungen, die viele Menschen mit Behinderungen teilen. Ist eine Behinderung nicht auf den ersten Blick erkennbar, würden es viele Menschen nicht geglaubt, sagt Luisa. Ihnen würde mit beurteilenden Äußerungen ("Du siehst doch gar nicht behindert aus.") die eigene Erfahrungswelt abgesprochen.
"Und wer sichtbar behindert ist, der ist mehr Attacken, Übergriffen und Stigmatisierung ausgesetzt", sagt Luisa. Viele Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer schildern zum Beispiel, dass oft die Begleitung angesprochen wird, wenn sie nicht alleine unterwegs sind. Immer noch fehle an vielen Stellen das Bewusstsein.
"Viele Menschen haben keine Vorstellung von diskriminierenden Strukturen."
Lange Zeit hielt auch Luisa diese verletzenden Erfahrungen für mehr oder weniger normal. Bis sie erkannte, dass sie systematisch diskriminiert wird. "Ich musste erstmal lernen, dass ich diskriminiert werde."
Nach der Selbstbezeichnung fragen
Luisa bezeichnet sich heute selbst als behinderte Frau. Andere Personen bevorzugen die Bezeichnung "Menschen mit Behinderung". Im Zweifel hilft es, die Personen einfach danach zu fragen, welche Bezeichnung sie bevorzugen.
"Behindert zu sein, ist keine Schwäche."
"Dabei wurde ich oft schon behandelt, als wäre ich eine von ganz, ganz wenigen. Und das ist einfach nicht der Fall", sagt Luisa. Insgesamt gibt es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Deutschland etwa knapp acht Millionen schwerbehinderte Menschen.
Formal heißt das: Diese Personen haben einen Grad der Behinderung von 50 Prozent. Das kann zum Beispiel innere Organe betreffen oder die Funktionsweise von Armen und Beinen oder auch geistige Fähigkeiten. Diese knapp acht Millionen Menschen würden im öffentlichen Leben aber kaum stattfinden, kritisiert Luisa. Weder in Filmen, der Werbung oder in Institutionen. "Wir sind kaum repräsentiert", sagt Luisa.
Barrieren können ganz unterschiedlich vorhanden sein
Barrieren, die es abzubauen gibt, seien noch reichlich genug. "Dabei können Barrieren sehr unterschiedlich sein", sagt Luisa. Die meisten Menschen würden bei Barriere-Armut am ehesten an Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer denken. "Doch Rollstuhlfahrer*innen haben andere Barrieren als eine Autistin. Barrierearm heißt eben nicht rollstuhlgerecht."
Heute arbeitet Luisa als Aktivistin, Beraterin und Influencerin für Inklusion und Antidiskriminierung. Zusammen mit Alina Buschmann und Evilina Enfer hat sie Angry Cripples ins Leben gerufen, eine Empowerment-Plattform für Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten.
Die Plattform bietet nicht nur die Möglichkeit zum Austausch, sondern setzt sich auch gegen Ableismus ein, also gegen die strukturelle Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen. "Ableismus muss aktiv verlernt werden", sagt Luisa.
Im Deep Talk spricht Luisa L‘Audace in dieser Woche mit Sven Preger über Selbstbezeichnungen, systematische Diskriminierung, nicht-sichtbare Behinderungen und Inspiration Porn.