Initiative gegen Rassismus in DeutschlandAfrozensus: Schwarze Perspektiven sichtbar machen
In Deutschland leben etwa eine Million Menschen mit afrikanischen Wurzeln. Ihre Lebensrealitäten fanden in der Politik und der Öffentlichkeit bisher aber wenig Beachtung. Die bundesweite Umfrage "Afrozensus" möchte das ändern und ihnen eine Stimme geben.
Menschen mit afrikanischer Herkunft sind in der deutschen Öffentlichkeit viel zu wenig sichtbar. Das jedenfalls sagt Teresa Bremberger, Mitglied des Projekts Each One Teach One.
Dass deren Stimme fehlt, liegt laut Teresa unter anderem daran, dass wir – anders als in den USA oder Großbritannien – in Deutschland offiziell keine spezifische Einordnung von Menschen mit afrikanischer Herkunft haben. Das hat auch gute Gründe: Dass in Deutschland seit 2006 hauptsächlich und sehr allgemein mit dem Begriff "Migrationshintergrund" gearbeitet wird, entspringt einem Antidiskriminierungsgedanken.
Nur führt das eben auch dazu, dass es kaum möglich ist, die spezifischen Diskriminierungserfahrungen und Lebensrealitäten bestimmter Gruppen im Alltag sichtbar zu machen, so Teresa. Deshalb hat sie den Afrozensus mit ins Leben gerufen – eine freiwillige Umfrage, die dieses Problem zumindest für die Menschen mit afrikanischen Wurzeln ändern soll.
"Wir schauen uns spezifisch an: Wie funktioniert eigentlich Anti-Schwarzer* Rassismus in Deutschland?"
Das Umfrage-Projekt wird von den Organisationen "Each One Teach One", "Citizens for Europe" und dem Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung umgesetzt und zusätzlich von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gefördert. Mit den Ergebnissen möchten die Organisatoren zum einen an die Politik herantreten und zum anderen die afrodeutsche Community stärken.
Eine Plattform für Erfahrungen und Wünsche
Bei dem Projekt Afrozensus handelt es sich nicht ausschließlich um eine Volkszählung, wie das Wort Zensus nahelegen könnte. Es gehe vor allem um die Erfassung verschiedener Lebensrealitäten von Menschen mit afrikanischer Herkunft in Deutschland, erklärt Teresa Bremberger von "Each One Teach One".
"Es geht auch darum zeigen: Was sind denn die sozialen Umstände, in denen wir in Deutschland leben? Und was ist auch der gesellschaftliche Beitrag, den Schwarze Menschen in Deutschland leisten?"
In der Umfrage können die Teilnehmenden ihre Erfahrungen mit Rassismus teilen und über allgemeine Erfahrungen und die sozialen Umstände im alltäglichen Leben in Deutschland schreiben. Außerdem bekommen sie mit der Umfrage eine Plattform, um aufzuzeigen, welchen Beitrag sie für die deutsche Gesellschaft leisten und welche Wünsche sie haben.
Selbst-Positionierung in der deutschen Gesellschaft
Dazu gehört auch, dass die Befragten ihre Meinung zu Begrifflichkeiten äußern können. Also: Wie bezeichne ich mich selbst – und wie sollen oder dürfen andere mich bezeichnen? Denn: Während sich einige Menschen eher als "Schwarz" oder andere lieber als "afrikanisch" bezeichnen würden, sei auch der Begriff "afrodeutsch" seit zwei Jahrzehnten gängig, erklärt Teresa Bremberger.
"Es gibt ja Leute, die sagen: 'Ich bin Schwarz'. Es gibt Leute, die sagen: 'Ich positioniere mich als afrikanisch'. Oder 'afrodeutsch' ist ja auch ein gängiger Begriff seit zwei Jahrzehnten."
Mit den vollständig erhobenen Daten planen Teresa Bremberger und ihre Kolleginnen auch an die Politik heranzutreten. Sie sollen abschließend in einem Abschlussbericht präsentiert werden.
Mehr politische Aufmerksamkeit
Die Organisatoren wollen so Zusammenhänge über Schwarzes Leben in Deutschland aufzeigen und eine Datengrundlage erarbeiten, mit der es leichter fällt, an die Politik heranzutreten. Bisher seien Forderungen nämlich oft mit Verweis auf fehlende Datengrundlage abgelehnt worden, erzählt Teresa Bremberger.
Rassistische Struktur – keine Einzelerfahrungen
Noch viel wichtiger sei es aber, dass das Projekt "von der Community für die Community" initiiert wurde, sagt sie. Es solle auch dazu dienen, die Menschen mit afrikanischen Wurzeln in Deutschland zu "empowern" und zu zeigen, dass sie nicht alleine mit ihren Diskriminierungserfahrungen sind.
Denn durch die vielen Daten und gesammelten Erfahrungsberichte könne den Betroffenen gezeigt werden, dass es sich hier um eine rassistische Struktur handle und nicht um Einzelerfahrungen, sagt Teresa Bremberger.
"Was Anti-Schwarzer Rassismus oder Rassismus allgemein macht, ist das Gefühl zu hinterlassen: 'Ich bin mit meiner Erfahrung alleine'. In dem Moment, in dem man diese Daten erhebt, kann man sehen: 'Ah, das hat gar nichts mit mir persönlich zu tun, sondern das ist eine rassistische Struktur'."
Am Afrozensus können "Schwarze, afrikanische und afrodiasporische Menschen" teilnehmen, wie auf der Webseite von "Each One Teach One" zu lesen ist. Es sind demnach auch diejenigen angesprochen, die direkte familiäre Beziehungen zu Afrika haben, weil sie selbst oder ihre Vorfahren Afrika vor wenigen oder vielen Jahren verlassen haben. Die deutsche Staatsbürgerschaft ist keine Teilnahmevoraussetzung.
Die Online-Befragung startet Mitte Juni. Wer Interesse an einer Teilnahme hat, kann sich hier anmelden.
* In diesem Artikel schreiben wir das Adjektiv "Schwarz" groß. Der Grund ist eine Bitte unserer Interviewpartnerin. Teresa Bremberger erklärt ihren Standpunkt so: "Um die sozial konstruierte Zuschreibung und gesellschaftliche Position von Menschen, die von Rassismus betroffen sind, hervorzuheben, wird Schwarz in diesem Zusammenhang immer mit großen "S" geschrieben. Es handelt sich dabei nicht um eine 'biologische' Eigenschaft wie beispielsweise die Hautfarbe, sondern um eine politische Selbstbezeichnung von Schwarzen Menschen, die einen gemeinsamen historischen und/oder gegenwärtigen Erfahrungshorizont beschreibt." In diesem Artikel zu ihrem Interview sind wir ihrer Bitte nachgekommen.