Medizinische Selbstversorgung im TierreichTiere, die sich selbst verarzten
Wurzeln, Rinde, Gras - es gibt Tiere, die scheinen ganz genau zu wissen, was ihnen bei bestimmten Beschwerden hilft. Vermutlich haben sie es zufällig herausgefunden, berichtet Biologe Mario Ludwig. Und er kann uns viele Beispiele nennen - von Affen, Bären und Wölfen.
Tiere, die sich selbst verarzten können, finden wir direkt bei unseren nächsten Verwandten im Tierreich – bei den Menschenaffen. Biologe Mario Ludwig spricht ihnen die Fähigkeit zu, Krankheiten selbst diagnostizieren und behandeln zu können. Wenn Schimpansen beispielsweise von Darmparasiten befallen sind, fressen sie regelmäßig Blätter der Aspilia-Pflanze – eine Gänseblümchen verwandte Pflanze – und das, obwohl die Pflanze nicht gut zu schmecken scheint, so Mario Ludwig.
"Aspiliablätter gehören nicht zur normalen Nahrung der Menschenaffen. Dazu sind sie viel zu bitter und stachelig. Kranke Tiere pflücken aber gezielt die haarigen Blätter dieser wilden Sonnenblume."
Die Blätter der Aspilia-Pflanze wirken wie eine Art Parasitenbeseitigungsmittel, sagt Mario Ludwig. Die Affen würden die Blätter sorgfältig mit den Lippen falten und und dann unzerkaut herunterschlucken. Der Effekt: Die parasitischen Würmer im Darm bleiben in den Haaren der Blätter hängen und werden ausgeschieden.
Schimpansen setzen Medizin gezielt ein
Es ist anzunehmen, dass diese Pflanze von Schimpansen gezielt medizinisch eingesetzt wird. Ein weiteres Indiz dafür ist, dass die Schimpansen die haarigen Blätter vor allem nach dem Einsetzen der Regenzeit schlucken, wenn die Infektionsgefahr mit Parasiten besonders groß ist.
Wurzeln, Rinde, Gras – alles Heilmittel in der Tierwelt
Ein anderes Beispiel: Die Braunbären Alaskas versuchen vor dem Winterschlaf mit scharfkantigem Riedgras ihre Bandwürmer loszuwerden. Um sich vor fliegenden Parasiten zu schützen, graben die Bären dagegen gezielt die sogenannte Osha-Wurzel aus, zerkauen sie und reiben dann den mit Speichel vermischten Brei in ihren Pelz. Dadurch werden die Mücken fern gehalten.
Wölfe wiederum fressen Gras, um ihre Darmparasiten mit einem natürlichen Abführmittel in den Griff zu bekommen. Bisons in Nordamerika kauen die Rinde eines Baumes, der einen gegen Amöben wirksamen Stoff enthält. Und Mantelbrüllaffen kauen auf den Fruchtstielen des Cashewbaumes, um sich – so wird es zumindest vermutet – vor Karies zu schützen.
Tannin gegen Fehlgeburten
Japanische Wissenschaftler haben vor einigen Jahren entdeckt, dass die Weibchen sogenannter Larvensifakas, einer Lemurenart, die im Kirindy-Nationalpark Madagaskars zu Hause ist, wenige Wochen vor der Geburt größere Mengen bitterer Pflanzenblätter fressen, die besonders viel Tannin enthalten. Diese Substanz wird auch gerne von Tiermedizinern eingesetzt, um Fehlgeburten vorzubeugen. Und die bitteren Blätter helfen tatsächlich, sagt Mario Ludwig.
"Diese Lemurenweibchen erleiden deutlich weniger Fehlgeburten als Weibchen, die keine Selbstmedikation vorgenommen haben."
Biologen gehen davon aus, dass die Tiere im Laufe der Evolution durch simples Ausprobieren eher zufällig herausgefunden haben, welche Natur-Arzneien sie gegen Parasiten, gegen Krankheiten oder Giftstoffe schützen. Und dieses Wissen haben sie dann an ihren Nachwuchs weitergegeben. Entweder, indem sie ihnen beigebracht haben, welche Blätter bei welchen Beschwerden helfen, oder der Nachwuchs hat es einfach bei den Eltern abgeschaut, sagt Mario Ludwig.